Inszenierung / Livestream
10er Auswahl

Reich des Todes

von Rainald Goetz

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg

Uraufführung 11. September 2020

Das neue Stück von Rainald Goetz wird in Hamburg zu einem vierstündigen Trip über den amerikanischen Albtraum 9/11 und globale Ausnahmezustände.

Reich des Todes. Videotrailer

© Deutsches SchauSpielHaus Hamburg

  • 4 h 15 min, eine Pause
  • In deutscher Sprache mit englischen Untertiteln

Vergangene Termine

Nachgespräch und Künstler*innen-Ehrung
am 21. Mai 2021 um 22:55 Uhr

Mit einem Abstand von knapp zwanzig Jahren blickt Rainald Goetz zurück auf den 11. September 2001 und seine Folgen, auf den „Krieg gegen den Terror“ und die Grausamkeiten von Guantanamo. Goetz geht es nicht um eine dokumentarische Rekonstruktion der Ereignisse. Er entwirft vielmehr ein schillerndes Sittenbild der Politik im Ausnahmezustand, das reich an Verweisen und Assoziationsangeboten historisch weit zurück und nach vorne bis in die unmittelbare, krisenhafte Gegenwart weist. In der Regie von Karin Beier wird die Uraufführung am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg zu einem rauschhaften Theaterereignis. Dazu gehört unter anderem die düster-dräuende Klangwelt, mit der Jörg Gollasch Goetz’ rastlose Sprache ergänzt.

Hinweis:
Die Uraufführung „Reich des Todes“ thematisiert u. a. die Misshandlung und Folter irakischer Gefangener in Abu Ghraib. In diesem Zusammenhang gibt es in der Inszenierung Szenen, projizierte Bilder und Fotos der Betroffenen, die psychische, physische und sexualisierte Gewalt und Nacktheit zeigen.

Theatertreffen-Juror Wolfgang Höbel zur Inszenierung
Der Dramatiker Rainald Goetz ist ein manischer und panischer Weltordner, die Regisseurin Karin Beier ist ihm eine geneigte Vollstreckerin. In „Reich des Todes“ hält das Theater Gericht über die moralische Verkommenheit der US-amerikanischen Regierung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 – und versucht tatsächlich eine historische Einordnung von weltpolitischen Ereignissen.

Dass sie diese Hybris einen Theaterabend lang konsequent durchexerziert, ist das erhebliche Kunststück der Aufführung. Der Autor und die Regisseurin behaupten, dass ein Sündenfall unserer Epoche durch Figuren wie Donald Rumsfeld oder George W. Bush begangen wurde und verkörpert wird. Indem Goetz diesen Männern deutsche Namen gibt und Beier sie als sehr „deutsche“ Figuren auf die Bühne schickt, plakatieren sie unsere Mitschuld an den US-Verbrechen. Es ist ein nahezu Brechtsches Aufklärungs- und Erinnerungstheater, das hier in einem Rausch aus Videobildern, Tanzszenen und Politiker*innenparodien auf der Kerkerbühne von Johannes Schütz zu betrachten ist. Mit dem Einsturz des von Flugzeugen getroffenen World Trade Centers beginnt die Demontage der amerikanischen Demokratie und der Humanität an sich. Unter anderem durch eine Hitler-Parodie führen die Schauspieler*innen die Verwandtschaft von faschistischer Verrohung und zynischer Machtpolitik im 21. Jahrhundert vor. Die Faszination des Verbrechens, der archaische Skandal der Gewalt sind in grotesk ästhetisierten Folter- und Kriegsszenen abgebildet. An der Borderline zur Geschmacklosigkeit lässt die Regisseurin die Pein eines Malträtierten und Blutüberströmten tanzen, um das Grauen im Gefangenenlager Abu Ghuraib vorzuführen. Im Lauf des Theaterabends aber verwandelt sich der realistische Schrecken mehr und mehr in abstrakten Horror. Wenn die Intensität der Bilder nachlässt, beschwört ein Stimmen-Orchester das Gedankengewitter im Kopf des Dichters und die Todesangst in uns allen. Einmal hört man einen Jubelschrei, der direkt aus dem Mund des Dramatikers Goetz zu kommen scheint: „Wie crazy, wie kaputt!“ Durchaus nah am Text gelingt der Aufführung hochneurotisches, polemisches, politisches Gegenwartstheater – und eine maßlose, finstere, verstörende Gegenwartsbeschreibung.

Künstlerisches Team

Karin Beier Regie
Johannes Schütz Bühne
Eva Dessecker, Wicke Naujoks Kostüme
Jörg Gollasch Komposition und musikalische Leitung /
Komposition und Einstudierung „Beschluss“, V. Akt

Voxi Bärenklau Videodesign
Rita Thiele, Ralf Fiedler Dramaturgie
Annette ter Meulen Licht
Christine Groß Einstudierung Sprechchor „Desastres de la Guerra“, IV. Akt
Valentí Rocamora i Torà Körpertraining und choreografische Mitarbeit
Vanessa Christoffers-Trinks Mitarbeit Videorecherche
Anna Werner Produktionsleitung

Mit
Sebastian Blomberg Selch, Vizepräsident
Maximilian Scheidt Pinsk, Privatsekretär / Braum, Obergefreiter / Trenck, Gefreiter
Holger Stockhaus Dr. Banzhaf, Chefjustiziar
Lars Rudolph Thurgau, Geheimdienstdirektor
Sandra Gerling Fr. von Ade, Sicherheitsberaterin
Wolfgang Pregler Grotten, Präsident
Burghart Klaußner Roon, Kriegsminister
Anja Laïs Mrs. Grotten, Ehefrau / Darkova, Brigadegeneral
Daniel Hoevels Dr. Schill, Justizrat / Braum, Obergefreiter
Markus John Dr. Kelsen, Oberjustizrat / Braum, Obergefreiter
Michael Weber Sebald, Justizminister / Braum, Obergefreiter
Tilman Strauß Braum, Obergefreiter / Trenck, Gefreiter / Atta, Gefangener
Eva Bühnen Cindy, Wachsoldat
Josefine Israel Eve, Soldat / Trenck, Gefreiter

Musiker*innen
Fanis Gioles, Yuko Suzuki Perkussion
Wassim Mukdad Oud
Michael Heupel Cello
Anna Lindenbaum Bratsche
Camilla Busemann Violine

Tänzer
Samuli Emery, João Pedro de Paula, Sayouba Sigué, Valentí Rocamora i Torà

Die Produktion „Reich des Todes“ zeigen wir in Zusammenarbeit mit den  46. Mühlheimer Theatertagen „Stücke“.

Aufführungsrechte: Suhrkamp Theater Verlag, Berlin