Einstein on the Beach
Oper in vier Akten von Philip Glass und Robert Wilson
Konzept: Susanne Kennedy, Markus Selg
Musikalische Leitung: André de Ridder
Premiere: 4.6.2022 Theater Basel
Was kann (Musik-)Theater heute sein? In ihrer ersten gemeinsamen Operninszenierung schaffen Susanne Kennedy und Markus Selg ein posthumanistisches Gesamtkunstwerk über Raum und Zeit. Mit ihrer konsequenten Ästhetik und charakteristischen Theatersprache verhandeln sie grundlegende Wahrnehmungsfragen und verwischen die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, Realität und Simulation.

Einstein on the Beach
© Susanne Kennedy und Markus Selg
- 3 h 35 min; Das Publikum kann den Zuschauerraum für individuelle Pausen verlassen und darf sich auf der Bühne frei bewegen.
- In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Vergangene Termine
- Donnerstag, 30.6.2022
- 18:00—21:35
- Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne
- Einheitspreis € 45 / ermäßigt € 25
Es besteht kein Anspruch auf einen bestimmten Sitzplatz.
- Freitag, 1.7.2022
- 18:00—21:35
- Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne
- Einheitspreis € 45 / ermäßigt € 25
Es besteht kein Anspruch auf einen bestimmten Sitzplatz.
- Samstag, 2.7.2022
- 18:00—21:35
- Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne
- Einheitspreis € 45 / ermäßigt € 25
Es besteht kein Anspruch auf einen bestimmten Sitzplatz.
- Sonntag, 3.7.2022
- 16:00—19:35
- Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne
- Einheitspreis € 45 / ermäßigt € 25
Es besteht kein Anspruch auf einen bestimmten Sitzplatz.
Eine hyperkünstliche Welt zwischen Zukunftsvision, Computerspiel und psychedelischem Rauschzustand trifft auf Philip Glass‘ und Robert Wilsons Meisterwerk aus dem 20. Jahrhundert. Inspiriert von dem unkonventionellen Genie Albert Einstein, der einst die Zeit relativierte, schufen Glass und Wilson mit „Einstein on the Beach“ eine Oper, die 1976 die Theater- und Musikwelt revolutionierte.
Kennedy und Selg widmen sich diesem hypnotischen Tableau, das sich ohne lineares Erzählen, doch mit vorwärtstreibender Musik und rätselhaften Versen entfaltet und kreieren eine begehbare Musiktheater-Installation, die Ritual, Theater und bildende Kunst ineinanderlaufen lässt. Auf der sich beständig drehenden Bühne findet sich eine neuartige Gemeinschaft zusammen, die mit ihrer rituellen Bewegungssprache nach eigenen, rätselhaften Regeln zu leben scheint. Dabei beschwören die repetitiven Patterns in Musik, Tanz und im auf 3D-Modelling und Videodesign basierenden Bühnenbild eine formale Spiritualität, die die Zeit als sinnliches Phänomen erfahrbar macht und das Werk in die heute gelebte Gleichzeitigkeit überführt. Während die Welt vollkommener ästhetischer Autonomie somit eine Gegenwärtigkeit schafft, in der Vergangenheit und Zukunft verschwimmen, ist das Publikum eingeladen, durch das Betreten der Bühne Teil dieser Realität zu werden. Die Zuschauer*innen können sich im Parkett frei bewegen und individuell entscheiden, wie sie das Werk mit seinen akustischen und visuellen Ebenen erleben möchten.
Zum ersten Mal sind die beiden Spezialensembles Basler Madrigalisten und das Ensemble Phœnix Basel zusammen in einer Opernproduktion zu sehen.
Künstlerisches Team
André de Ridder, Jürg Henneberger (1.7.2022) Musikalische Leitung
Susanne Kennedy, Markus Selg Konzept
Susanne Kennedy Regie
Markus Selg Bühne
Teresa Vergho Kostüme
Cornelius Hunziker Lichtdesign
Richard Alexander Voice Montage, Sounddesign
Andi Toma (Mouse on Mars) Musikalische Bearbeitung „Building“
Rodrik Biersteker, Markus Selg Video
Meret Kündig Dramaturgie
Ixchel Mendoza Hernández Choreografie
Besetzung
Suzan Boogaerdt, Tarren Johnson, Frank Willens, Tommy Cattin, Dominic Santia, Ixchel Mendoza Hernández Performance/Tanz
Diamanda Dramm Solo-Geige
Álfheiður Erla Guðmundsdóttir, Emily Dilewski Solo-Sopran
Nadja Catania, Sonja Koppelhuber, Sarah Pagin (1. & 2.7.2022) Solo-Alt
Basler Madrigalisten
Raphael Immoos Einstudierung
Viviane Hasler, Anna Miklashevich, Viola Molnàr Sopran
Schoschana Kobelt, Leslie Leon, Barbara Schingnitz Alt
Daniel Issa, Patrick Siegrist, Christopher Wattam Tenor
Tiago Mota, Breno Quinderé, Othmar Sturm Bass
Ensemble Phœnix Basel
Christoph Bösch, Josef Feichter Flöte
Toshiko Sakakibara Bassklarinette
Raphael Camenisch, Sascha Armbruster Saxofon
Ludovic van Hellemont, Samuel Wettstein E-Orgel
Kosmische Bühne
von Markus Selg
It’s important to realise, when you interact with others, that everybody in a sense is you in a different timeline … (Joscha Bach)
Kunst und Theater können Raum geben für Euphorie und Unsicherheit angesichts dieser Erkenntnis. Erfahrungsräume, in denen wir die gleichsam befreienden wie auch schmerzhaften Transformationen unseres Menschenbildes in Gemeinschaft erproben können. Ein geschützter Raum, in dem diverseste Identitäten entstehen und wieder vergehen können. Das Theater verkörpert seit seinem Ursprung das Feld der ständigen Wandlungen und bietet so den idealen Ort für die gerade stattfindende Metamorphose. Ein Labor für die experimentelle Verschmelzung mit den uns umgebenden Technologien. Ein Knotenpunkt im Netzwerk unserer durch das Internet verbundenen Nervensysteme. Ein Ort, an dem Hyperkonnektivität genauso erlebt werden kann wie das gemeinsame Zelebrieren absoluter Stille oder die Abwesenheit jeglichen Inputs. Gegen die damit einhergehende nervöse Unruhe werden wir wieder lernen, uns mit Wesen und Netzwerken zu verbinden, die in geduldigeren Zeitzyklen existieren als wir. Planeten, Bäume, Pilze, Viren. “All that you touch, you change. All that you change, changes you. The only lasting truth is change.” (Octavia E. Butler)
Die Bühne als eine ritualistische Architektur für Gemeinschaft, ein System des kollektiven Traums. Eine Stätte, an der die unzähligen Realitätszentren, die nach dem Verlust der allgemein geteilten Realität entstanden sind, zu einem Spektrum gebündelt und in ihrer Unterschiedlichkeit erfahrbar gemacht werden können. Die Anwendung des Komplementaritätsprinzips der Quantenphysik, in dem sich scheinbar widersprüchliche, einander ausschließende Beschreibungsweisen wechselseitig ergänzen, kann zu mehr gegenseitigem Verständnis und einem Heilungsprozess innerhalb der Zersplitterungen beitragen. Die archaische Theatermaschinerie (Dea ex Machina), in den digitalen Raum erweitert, gibt den unterschiedlichsten Akteur:innen, menschlichen, nichtmenschlichen, biologischen und synthetischen Intelligenzen, die Möglichkeit, gemeinsam zu spielen. Physikalische Beschränkungen können aufgehoben, das Navigieren zwischen den Welten kann fließend werden. Mit der begehbaren Bühne verfügt das Theater über die Möglichkeit der kollektiven Immersion mit gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit im Raum. Computerspiele und Live-Rollenspiele, Clubs und Retreats bieten verwandte Anordnungen, und ihre Vernetzung kann ein System erzeugen, in dem das Leuchten unseres komplexen Kosmos aufscheinen kann. Mit den Beteiligten als Akteur:innen in seinem Zentrum. Eine Plattform, die dem Gesamtkunstwerk näherkommen wird als jede Kunstform zuvor. Diese kosmische Bühne wird der Schauplatz sein, an dem wir unsere algorithmischen Rituale vollziehen, um das Leben in all seiner Rätselhaftigkeit zu zelebrieren.
Mit den ersten Pinselstrichen an den Wänden dieser von uns selbst erschaffenen Höhle beginnt eine Zukunft, die aus unseren Visionen erwachsen wird, deren wirkliche Beschaffenheit wir uns aber nicht in den kühnsten Träumen vorstellen können. Wenn sich die Menschen der Zukunft unsere Visionen in die Höhle ihrer Köpfe laden, irgendwo im zeitlosen, unendlichen Fraktal des Universums, werden sie sich vielleicht wundern, welche Bedeutung wir den Geschichten in unseren Köpfen beigemessen haben. Sie werden aber das Pulsieren unseres Herzschlags als Muster des Lebens darin erkennen.
Dieser Text ist ein Auszug aus Markus Selgs Beitrag „Mind in the Cave“, zuerst unter dem Titel „Aus der Höhle der Zukunft“ im Mai 2021 im Theatermagazin Die Deutsche Bühne erschienen.
What you see is what you see
Dramaturgin Meret Kündig über Philip Glass’ Anti-Oper „Einstein on the Beach“
Es war kein Werk, das einer Erklärung bedurfte. Und wir haben nie versucht, eine zu geben. (Philip Glass)
Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. (Albert Einstein)
Worum es bei „Einstein on the Beach“ geht, ist schwer zu sagen. Um einen Strand auf jeden Fall nicht, und um Einstein nur im allerweitesten Sinn: Das Stück bricht mit der Oper wie Albert Einstein mit der traditionellen Physik. Es ist zwar in Akte und Szenen unterteilt, die Titel wie „Train“, „Trial“ oder „Spaceship“ tragen. Es wird gesungen und musiziert. Dennoch ist „Einstein on the Beach“ eine Anti-Oper. Ihr Bruch mit der herkömmlichen Opernästhetik liegt in erster Linie darin, dass sie vollständig auf eine lineare Handlung verzichtet. Ihr Prinzip ist die Assoziation, und das Publikum ist dazu eingeladen, seiner eigenen Phantasie freien Lauf zu lassen.
Philip Glass und Theatermacher Robert Wilson schufen das Werk gemeinsam und brachten es 1976 in Avignon zur Uraufführung. Die Originalproduktion, in der traumähnliche Szenen, Texte, Tanz und Musik zu einem Gesamtkunstwerk zusammenflossen, wurde seither auf der ganzen Welt gespielt und gilt heute als Klassiker der Avantgarde. Dennoch gab es bisher erst eine Handvoll neuer Regie-Interpretationen, zu denen auch Susanne Kennedys und Markus Selgs Musiktheater-Installation am Theater Basel gehört.
Die gesprochenen Texte stammen größtenteils von dem autistischen Dichter Christopher Knowles, mit welchem Robert Wilson therapeutisch gearbeitet hatte. In der assoziativen Auseinandersetzung mit Einstein, über den er kaum Wissen besaß, schuf Knowles sinnfreie Sprachmosaike mit ausgeprägten rhythmischen Mustern und vielen Wiederholungen. Auch die Performer:innen der Originalproduktion steuerten Sprechtexte bei, die sie in der Probenarbeit entwickelten und ebenfalls auf Assoziation beruhen. Die von Chor und Solist:innen gesungenen Texte entziehen sich noch radikaler jeglichem Sinn. Sie bestehen aus Zahlen und Tonsilben (do-re-mi-fa-sol-la-si-do) und entsprechenden gesungenen Tonhöhen, sie bedeuten also nichts anderes als sich selbst. Hier etablierte sich ein Werkbegriff, der von der amerikanischen Kunstrichtung Minimal Art geprägt wurde und für das Selbstverständnis der Minimal Music, die übrigens häufig in Kunstgalerien aufgeführt wurde, zentral war. Glass’ Musik entzieht sich hierarchisch geordneten Tiefenstrukturen, einer dramatischen Entfaltung und einer semantischen Sinngebung. Oder – wie es der Minimal-Art-Künstler Frank Stella formulierte – „What you see is what you see“.
Es gibt in der ursprünglichen Inszenierung von Wilson zwar einige Bezüge zu Einsteins Leben und Theorien, zum Beispiel ein Violinist in Gestalt des berühmten Physikers, welcher in seiner Freizeit leidenschaftlich Geige spielte. Auch die Szenentitel lassen Bezüge erahnen: So erinnert „Train“ an Einsteins Gedankenexperiment zur Veranschaulichung der speziellen Relativitätstheorie. „Bed“ könnte ein Bild für Einsteins visionäre Gedanken sein, die ihm angeblich häufig im Schlaf kamen. „Trial“ weist auf die Frage nach der ethischen Verantwortung der Wissenschaft hin, wie auch der Titel der Oper als Anspielung auf den nuklear-apokalyptischen Roman „On the Beach“ von Neville Shute gelesen werden kann. Doch bleiben diese Referenzen sehr vage. Unter Verzicht auf jede Eindeutigkeit lässt das Stück einen Assoziationsstrom über die Relativität von Raum und Zeit entstehen. Es geht nicht um ein rationales Verstehen, sondern um die Erfahrung eines Zustandes.
Amerikanische Komponisten der Minimal-Bewegung wie Steve Reich, Terry Riley und Philip Glass grenzten sich von der europäischen Avantgarde und insbesondere der damals in Europa dominierenden Seriellen Musik ab. Diese basierte auf komplexen mathematischen Zahlenreihen und zielte eher auf eine intellektuelle Rezeption. Dieser wachsenden Komplexität setzte die Minimal Music eine radikale Einfachheit entgegen, die eine tiefe sinnliche Erfahrung ermögliche sollte. An die Stelle von dramatischer, linear erlebter Entfaltung trat ein neues Verständnis von Zeit und Raum, an die Stelle der Form trat der Prozess.
Die Minimal Music wurde stark von nicht-europäischen Einflüssen, insbesondere der indischen, afrikanischen und indonesischen Musik und deren spiritueller Praxis geprägt. Glass selbst war im engen Austausch mit den Musikern Ravi Shankar und Alla Rakha, von denen er die Grundlagen indischer Musik erlernte. Aber auch die Popmusik hinterließ ihre Spuren und es ist nicht verwunderlich, dass die Minimal Music später auch die Entwicklung bestimmter Techno-Richtungen prägte.
Charakteristisch für Glass’ Kompositionen sind stabile harmonische Strukturen und insbesondere das Prinzip der Wiederholung musikalischer Phrasen und Bausteine.
Musikalische Muster, sogenannte Patterns, werden mit kleinsten Veränderungen beispielweise durch Addition eines Tones vielfach repetiert und transformieren sich so beinahe unmerklich und scheinbar unendlich. Das Gefühl eines stabilen Metrums hebt sich auf – wie in Einsteins Denken scheint die Zeit sich zu verformen. Die Musik beginnt zu schweben und löst bei den Zuhörer*innen tranceartige, meditative Zustände aus, verstärkt durch die anhaltende Dauer des Stückes. John Cage beschreibt diese Erfahrung so: „f something is boring after two minutes, try it for four. If still boring, try it for eight, sixteen, thirty-two and so on. Eventually one discovers it’s not boring, but very interesting.“