Konzert

Electroacoustic and Experimental Electronic Works

Das Finale von MaerzMusik 2023: Mit Werken von Hanna Hartman, Miya Masaoka, Else Marie Pade, Christian Kesten, Jacob Kirkegaard, Vinyl -terror & -horror und anderen.

Eiserner Vorhang, Haus der Berliner Festspielel

Eiserner Vorhang, Haus der Berliner Festspiele

© Philippe Rebosz

Der Einlass ist auch zu einem späteren Zeitpunkt – jeweils zum Beginn eines neuen Sets – möglich. Reduzierte Tickets sind an der Abendkasse nach Verfügbarkeit erhältlich.

Abendprogramm 26.03.2023 (, 668 KB)

Jacob Kirkegaard richtet seine Ohren nach innen: „Labyrinthitis“ ist ein interaktives Klangstück, das ausschließlich aus Klängen besteht, die in den Hörorganen des Künstlers erzeugt werden – und in denen des Publikums Reaktionen hervorrufen. Es beruht auf einem Prinzip aus Wissenschaftsmedizin und Musikpraxis: Wenn zwei Frequenzen in einem bestimmten Verhältnis ins Ohr gespielt werden, entsteht durch zusätzliche Schwingungen im Innenohr eine dritte Frequenz. Diese Frequenz wird vom Ohr selbst erzeugt: eine sogenannte „Distortion Product Otoacoustic Emission“ (DPOAE), in der Musikwissenschaft auch „Tartini-Ton“ genannt. Dafür hat sich Kirkegaard – ähnlich wie vor ihm schon John Cage – in einen schalltoten Raum begeben, mit winzigen Lautsprechern und Mikrofonen im Ohr. Die Lautsprecher senden Töne in sein Innenohr, woraufhin das Ohr als Reaktion selbst Töne erzeugt. Die Ohrgeräusche werden wiederum von den Mikrofonen aufgefangen und verstärkt. Während der Performance verwendet Kirkegaard diese Geräusche, um „dritte Töne“ in den Ohren des Publikums hervorzurufen. Laut dem Theoretiker Douglas Khan ist „Labyrinthitis“ das erste Kunstwerk, welches „das aktive Hören direkt einbezieht“.

Hanna Hartman komponierte „The Revenge“ (dt.: „Die Rache“) für Christian Kesten. Sie entwickelte dafür ein Instrument aus zwei unterschiedlich gestimmten, amplifizierten Klaviersaiten, an denen Fäden aus verschiedenen Materialien befestigt sind. In der zugleich grafischen und verbalen Partitur zitiert sie Beschreibungen aus der Beaufort-Windstärkenskala: „mäßige brise. wirbelt staub und loses papier auf. kleine äste werden bewegt. kleine wellen werden länger. häufige weiße pferdewellen. 11-16 knoten.“ Die Texte übersetzt der Performer in ein Zusammenspiel aus Fäden und von ihm entwickelten Vokaltechniken. „The Revenge“ ist ein Auftragswerk der Maulwerker und wurde 2020 im Programm „maulwerker performing music DIE RACHE. Rachen, Mundhöhlen und andere akustische Räume“ uraufgeführt.

Miya Masaokas „The Imaginary Decolonized Space/Place“ ist komponiert für drei Musiker*innen und Sinuswellen beziehungsweise Differenztöne. Damit knüpft das Werk an Kirkegaards Komposition an. Das Phänomen der Differenztöne – man hört einen dritten Ton, obwohl nur zwei erklingen – entdeckte der Geiger, Komponist und Musiktheoretiker Giuseppe Tartini (1692-1770), als er auf seiner Geige Doppelgriffe spielte (daher auch der Name „Tartini-Ton“). In „The Imaginary Decolonized Space/Place“ widmet sich die US-amerikanische Komponistin und Klangkünstlerin Masaoka diesem Phänomen, welches das Gehör schärft und zu genauerem Hinhören zwingt.

Greta Christensen und Camilla Sørensen alias Vinyl -terror & -horror erforschen den Plattenspieler und die Schallplatte in ihrer rohesten Form. Die Visualität und Materialität der Plattenrillen erlauben es ihnen, das Wiedergabemedium in skulpturale Objekte zu verwandeln. Die zerbrochenen Schallplatten, die sie collagenartig zu Cut-ups zusammensetzen, unterbrechen absichtlich den musikalischen Fluss der Samples und ermöglichen so Looping-Muster und unerwartete Strukturen. Die verwendeten Samples stammen aus einem breiten Spektrum von Genres – von Klassik, Folk und Schlager bis hin zu Vintage-Filmsound-Effekten.

Die Performance „Undercover“ der Komponistin und Klangkünstlerin Hanna Hartman ist der dritte Teil einer Reihe von Stücken, die Live-Animationen, Klänge von verstärkten und bewegten Objekten, Filme und Elektronik miteinander verweben. Die Arbeit erforscht das geheime Leben unter unseren Füßen: Den Zuschauer*innen eröffnet sich ein visuelles und musikalisches Universum von Klängen, die – ihrem ursprünglichen Kontext enthoben – in voller Reinheit wahrgenommen werden können und auf diese Weise Assoziationen zwischen den verschiedensten auditiven Impressionen hervorrufen.

Trotz eines Altersunterschieds von 51 Jahren sprechen Else Marie Pade und Jacob Kirkegaard eine ähnliche musikalische Sprache. Beide sind prominente Hörer*innen sowie Kommunikator*innen von Klängen, die ohne ihre Hilfe nicht wahrnehmbar wären. „Svævninger“ ist ihre erste Zusammenarbeit. Das Werk untersucht die Variationen, die wahrgenommen werden können, wenn Schallwellen kollidieren. Beide Künstler*innen haben sich zuvor mit diesem Phänomen beschäftigt – Jacob Kirkegaard in „Labyrinthitis“ und Else Marie Pade in „Faust Suite“ (1962). Für „Svævninger“ kombinieren sie eine Auswahl von Pades frühen (und bis dato unveröffentlichten) Klangexperimenten mit einigen von Kirkegaards Aufnahmen aus seinem eigenen Ohr – und führen das Publikum so direkt in das unentdeckte Labyrinth seines eigenen Gehörs.

Programm

19:00
Jacob Kirkegaard (*1975)
Labyrinthitis (2007)
Mehrkanal-Komposition / Klanginstallation
Mit
Jacob Kirkegaard Performance

19:50
Hanna Hartman (*1961)
The Revenge (2020)
für mikrofonierte Fäden und Stimme
Mit
Christian Kesten Stimme, Fäden
Bryan Eubanks sound design

20:30
Miya Masaoka (*1958)
The Imaginary Decolonized Space/Place (2023)
für 3 Musiker*innen und Sinuswellen / Differenztöne
Mit
ensemble mosaik
Sarah Saviet Violine
Karen Lorenz Viola
Mathis Mayr Cello

22:00
Vinyl -terror & -horror
Plattenspieler-Performance
Mit
Camilla Sørensen und Greta Christensen Performance

23:00
Hanna Hartman (*1961) / Dafne Narvaez Berlfein (*1978)
Undercover (2022)
für Live-Animation und Elektronik
Mit
Hanna Hartman Live-Animation, verstärkte Objekte, Elektronik
Dafne Narvaez Berlfein Live-Video-Projektion

00:00
Jacob Kirkegaard / Else Marie Pade (1924-2016)
Svævninger (2012)
Diffusion
Mit
Jacob Kirkegaard Performance

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