ICH BIN ROT
Freie Theatergruppe „Elektrolyse“, Berlin
Inspiriert von Liv Strömquists Comic „Der Ursprung der Welt“ beschäftigt sich die Freie Theatergruppe Elektrolyse in ihrem Stück „ICH BIN ROT“ mit der Frage, warum Menstruation in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema ist.

ICH BIN ROT
© Robert Lindner
- 50 min, keine Pause
Vergangene Termine
Die zehn Schauspielerinnen von Elektrolyse sprechen auf der Bühne ohne Scham über tabuisierte Themen, wie Menstruation oder das weibliche Geschlecht und bringen zur Sprache, wie unwohl sich Frauen mitunter in ihren Körpern fühlen und wie dieses Gefühl ihr Selbstbild beeinflussen kann. Das Stück ist für alle, die keine Lust mehr haben sich zu schämen und die es satthaben, immer rot zu werden. Es soll Sicherheit geben, Mut machen und auch ein bisschen provozieren.
Jurykommentar von Laura Völkel
Es ist Freitag, die Sonne scheint und meine Reise geht nach Hildesheim. Es ist wieder einmal einer dieser Tage, an denen ich mit überschlagenen Beinen im Zug sitze und zwischendurch die Luft anhalte, denn Menstruationsschmerzen haben wieder richtig Bock und so. Passt ja, dachte ich dann. Ich bin rot und Elektrolyse auch.
Gleich zu Beginn wird mir bewusst: Diese jungen Theaterschaffenden auf der Bühne reichen mir die Hand. Reichen uns allen die Hand. Sie führen uns durch eine rote Gefühlswelt voller offener und ehrlicher Gedanken. Dabei erschaffen sie einen besonderen Ort, bereichern durch befreiende Emotionen und kraftvolle Bilder. Geschickt kreieren sie theatrale Momente mit dem facettenreichen Einsatz weißer Quader und einem liebevoll realisierten Bühnensujet in Rot. Sie nehmen und geben sich ihren eigenen Raum und überzeugen mit einer dringlichen Aufklärung über das Sein als menstruierende Person.
Zwischendurch muss ich meine Beine erneut überschlagen; mein Gesicht schmerzhaft verzogen und dankbar für das, was die Spieler*innen zeigen. Sie lachen und weinen, sie sind laut und leise, sie tanzen und sie stehen still. Die jungen Schauspieler*innen befreien sich und finden ihren bemerkenswerten und ansteckenden Zugang zur Akzeptanz der Menstruation. Der rote Faden für den klaren Blick, die bestimmte Individualität. Das rote Kostümbild steht für die Befreiung, das Empowerment und den Zusammenhalt. Toni, Kuni, Pauline, Frida, Pia, Lene, Emma, Eli und Sina verbinden mit einer ehrlichen Spielweise lästige Alltagssituationen, die die Farbe Rot zu Blau werden lassen. Dabei erzählt die autonome Gruppe ihre persönlichen Geschichten über den Druck, die Scham, die Geheimnisse, das Dealen mit den Tampons, die Selbstakzeptanz, den Vergleich mit anderen und den altbekannten Sexualunterricht in Biologie. Sie verketten dialogische Appelle mit einer feministisch-empowernden Liederauswahl. Beeindruckend ist ihr Zugang zu ihrem eigenen Körper, es berührt mich, wie klar und gesetzt sie mich ihre Verbindung zu sich selbst spüren lassen: „Ich schaue an meinem Körper hinunter. Ich sehe ihn, ich sehe mich. Ich flüstere: „Es gibt kein zu Hause wie dich. Ich danke dir.“
Kurzzeitig muss ich wieder die Krämpfe wegatmen, wie wir das halt so machen. Fleckenschutz kaufen, Blähbauch kaschieren, Lippen zusammenbeißen, einfach weglächeln oder den Blick senken. Aber Elektrolyse schafft es, an diesem Freitagvormittag in Hildesheim ein Zeichen für die Zuschauenden zu setzen. Sie laden ein, in eine Welt voller Vertrauen, Hingabe, Anerkennung, Stolz, Achtsamkeit, Verständnis und Gleichberechtigung. Denn jetzt ist Schluss. Denn sie sind da, sie sind rot und sie sagen Nein.
Nein zum Selbsthass, zum „In-eine-Schublade-stecken“, zur Ignoranz, zur Peinlichkeit, zur
Zensur, zur Tamponsteuer, zum Fleckenschutz, zum Prinzen*, zum Jahrhundertschlaf. Zur Scham. Oder wie Frida sagen würde: „Steckt sie euch, wohin ihr wollt!“
Von und mit
Frida Schmuck, Kunigunde Kuhl, Pia Raufeisen, Pauline Malkowski, Antonie Beckmann, Emma Jörgeling, Lene Wollwerth
Lene Wollwerth, Emma Jörgeling Spielleitung, Regie, Dramaturgie
Carlotta Sommerfeldt Assistenz
Sina Reiner, Eli Höll Kostüm, Maske
Recherchematerial: „Der Urprung der Welt“ von Liv Stömquist, „Ein offenes Buch“ von Lara Ermer und „milk and honey“ von Rupi Kaur
(Einzelne Sätze wurden aus diesen Büchern übernommen, der Großteil des Textes ist selbstgeschrieben.)