Paul Fosse

Paul Fosse wurde am 20. März 1884 in Marseille in einer südfranzösischen Musikerfamilie geboren. Bereits sein Vater komponierte, ebenso seine Brüder Vincent Joseph und Georges Vincent Emmanuel. Von 1908 bis 1911 ist im legendären Pariser Olympia erstmals eine berufliche Tätigkeit Paul Fosses nachweisbar. Danach war er von Herbst 1911 bis Mai 1928 Musikdirektor des Gaumont-Filmpalastes an der Place de Clichy. Mit dem Ende der Stummfilmzeit hatte er eine vergleichbare Stelle im Kino des Casino de Bécon (mit 1.200 Plätzen) in der Pariser Peripherie inne. Danach kehrte er von 1929 bis 1932 zur Firma Gaumont zurück und arbeitete in deren Société cinématographique im Bereich der Tonfilme. Ab 1929 wohnte Paul Fosse in Château-Thierry an der Marne im Departement Aisne. In den 1930er Jahren war er während der Opern-Spielzeit Korrepetitor in Nizza, 1936 bis 1938 auch in Aix-les-Bains. Im Collège seines Wohnortes unterrichtete er nach dem Krieg Klavier und wurde 1954 pensioniert. Dort dirigierte er auch von 1929 bis zu seiner Pensionierung die lokale Blasmusik Union musicale.

Paul Fosse hat zudem ein erstaunlich umfangreiches kompositorisches Schaffen hinterlassen. Sein eigenes Werkverzeichnis umfasst 216 Opus-Nummern und in der Bibliothèque nationale de France in Paris lassen sich knapp neunzig gedruckte Werke nachweisen, darunter eine ganze Reihe, die er als Filmmusiken verwendet (wie auch Werke seiner Familienangehörigen) und zu großen Teilen auch als solche selbst komponiert hat. Auffallend ist, dass diese zumeist kurzen „Familien-Kompositionen“ hauptsächlich für leichtere Filmgenres Verwendung fanden, beispielsweise für einen Teil der knapp 30 Chaplin-Filme, die im Gaumont-Palace zur Aufführung gelangten. Dies ist auch bezeichnend dafür, dass sie in einem so anspruchsvollen und monumentalen Film wie La Roue von Abel Gance gerade nicht Verwendung fanden, dafür vermehrt Werke aus dem „klassischen“ Konzert- und Opernbereich.

Für die Geschichte der Filmmusik zur Zeit der Stummfilme von überragender Bedeutung waren seine 18 Jahre im Gaumont-Palace. Für dieses am 11. Oktober 1911 eröffnete Kino stellte er die Musik für den Großteil der dort gezeigten Filme weitgehend aus bestehenden Musikstücken zusammen und nannte diese Zusammenstellungen Adaptations. Aufgeführt wurde diese Musik von einem Orchester von gut vierzig Musiker*innen, das er dirigierte. Da Fosse und – nach den Schriften zu schließen – gelegentlich auch seine Mitarbeiter*innen für jeden der über 1600 Filme von sehr unterschiedlicher Länge jedes einzelne Werk in zwei voluminösen Bänden notierten, sind diese Musikzusammenstellungen die wohl umfassendste erhaltene Quelle überhaupt für die Musik der Stummfilmzeit. Hier lässt sich erkennen, dass die dort gespielte Musik eine eigene Geschichte hatte. Zudem wird sichtbar, dass für die Musikauswahl durch Paul Fosse die Gattung, der ein Film zugehörte, von großer Bedeutung war. Die äußerst umfangreiche Musikbibliothek von Paul Fosse ist erhalten und wurde von seinen Erben der Bibliothèque nationale de France übergeben. Doch erst im letzten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts ist diese überragende Bedeutung der Erbschaft Paul Fosses durch François Porcile und Giusy Pisano erkannt worden. Jérôme Fronty hat dann erstmals die zentrale Bedeutung von Paul Fosse innerhalb der Filmmusikgeschichte dargestellt.

Jürg Stenzl (Wien/Salzburg)

Stand: Juli 2019

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