François-Joseph Gossec

François-Joseph Gossec durchlebte als Komponist fast ein Jahrhundert und war Teil verschiedener epochaler musikgeschichtlicher Entwicklungen. Er kam zur Zeit der Tragédie lyrique Jean-Philippe Rameaus (1683 – 1764) zur Welt und starb als Hector Berlioz seine „Symphonie fantastique“ vollendete. Er war als Komponist, Dirigent, Pädagoge und Veranstalter nicht nur Zeuge, sondern auch einflussreicher Akteur beim Umbaus des Pariser Musiklebens, dessen höfische Struktur zunehmend durch bürgerliche Institutionen abgelöst wurden, nicht zuletzt beeinflusst durch die Französische Revolution.

Gossec wird 1734 in Vergnies als Sohn eines Wallonischen Bauern geboren. Früh macht sich sein musikalisches Talent bemerkbar und so kommt er im Alter von sechs Jahren als Chorknabe an die Stiftskirche von Walcourt, wo er musikalisch ausgebildet wird. 1742 wird er in den Chor der Kathedrale von Antwerpen aufgenommen. 1751 siedelt Gossec nach Paris über. Dort wird er ab 1752 als Geiger im Privatorchester Alexandre Le Riche de La Popelinières, eines wohlhabenden Mäzens und Generalsteuerpächters des Königs, angestellt. Dort trifft er nicht nur auf Jean-Philippe Rameau, der das Orchester über viele Jahre geleitet hat, sondern auch auf Johann Stamitz. Über diesen lernte Gossec die Errungenschaften der Mannheimer Schule kennen: homophone Orchestersymphonien und neuartige Dynamikeffekte mit den dafür erforderlichen Klarinetten, Bassetthörnern und anderen Blasinstrumenten.

Von 1756 bis 1762 veröffentlicht Gossec 24 Symphonien. 25 Jahre alt gelingt ihm mit seiner „Grande Messe des morts“ als Komponist der Durchbruch. Nicht nur für Mozart dient sie als Modell, auch Hector Berlioz hat sich in seinem „Requiem“ darauf bezogen. Gossecs „Messe des morts“ zeichnet sich nicht nur durch ihre Dimensionen oder die hohe kontrapunktische Fähigkeiten Gossecs auch. Besonders ist vor allem als symphonisches Werk angelegt, das ein volles klassisches Orchester und ebenso großen Chor erfordert. Außerdem setzt Gossec im „Tuba mirum“ die Bläser – Trompeten und Posaunen zusammen mit Klarinetten und Hörern – als Fernorchester ein. Hier konzipiert Gossec räumliche Klangwirkungen, an die Berlioz in seinem „Requiem“ (1837) und seinem mehrchörigen „Te Deum“ (1848/49) anknüpfen konnte.

Nach dem Tod La Pouplinières übernahm Gossec in den Jahren von 1762 bis 1769 die Leitung zweier von hochrangigen Aristokraten unterhaltenen Kapellen und gelangt mit diesen zu hohem Ansehen. Zu der Arbeit im Dienst der Aristokratie kamen weitere Aktivitäten als Organisator von Konzerten und Leitungsaufgaben in verschiedenen bürgerlichen Pariser Musikinstitutionen hinzu: 1769 gründet er das Concert des amateurs, von Bürgern privat finanzierte Vereinigung, die Konzerte veranstaltet, neue Kompositionen in Auftrag gibt und aufführt, sowie Interpreten und Komponisten von internationalem Rang engagiert. Er führte dort 1773 als erster eine Symphonie Josef Haydns auf. Bereits 1773 übergab er die Leitung der Concert des amateuers an Joseph Bologne, Chevalier de Saint Georges und wechselte in die Direktion des Konkurrenzunternehmens, zu den Concert spirituels, die er modernisiert und reorganisiert.

Gossec gerät in die heftigen, über Jahrzehnte geführten Auseinandersetzungen um die Oper, bei der um die Vorherrschaft der französischen oder der italienischen Oper gestritten wurde bzw. um die Emanzipation bürgerlicher Operngattungen. Er hat dies durchaus an dem wechselhaften Erfolg seines eigenen Opernschaffens erfahren müssen. Auf dem Gebiet der Opéra Comique wird Gossec von André-Ernest-Modest Grétry (1741 – 1813) verdrängt, auch wenn seine Beiträge zu dieser Gattung, wie zum Beispiel „Les Pêcheurs“ und „Toinon et Toinette“, vom Publikum sehr positiv aufgenommen wurden. Seine 1771/72 entstandene Tragédie Lyrique „Sabinus“ gilt als ein Meisterwerk, wird allerdings nach 11 erfolgreichen Aufführungen durch den überwältigenden Erfolg von Christoph Willibald Glucks „Iphigenie auf Aulis“ abgesetzt. Dies hält ihn aber nicht davon ab, für Gluck kompositorisch oder als Arrangeur tätig zu sein oder für ihn im sogenannten Piccinisten-Streit Partei zu ergreifen.

Mit dem Beginn der Revolution ergeben sich für den inzwischen 55 Jahre alten, sich selbst als weitgehend gescheitert empfindenden Komponisten unerwartet neue Perspektiven. Zum Jahrestag des Sturms auf die Bastille wird Gossec mit der Komposition eines „Te Deums“ beauftragt. An dessen Aufführung waren am 14. Juli 1790 unter anderem 300 Bläser und Hunderte von Trommlern beteiligt. Gossec gelingt es, sich während der Revolution als einer der führenden Komponisten der Revolution zu etablieren. In diesem Kontext entstehen die einaktige Scène religieuse bzw. das Tableau patriotique „L’Offrande à la liberté“, eine Art Dramatisierung der Marseillaise und das ebenfalls einaktige Divertissement lyrique bzw. Ballett „Le Triomphe de la République“, dass er anlässlich des Sieges der Republikanischen Armee über die Gegner Frankreich bei Valmy 1792 komponierte und das am Jahrestag der Ersten Republik Frankreichs 1793 an der Pariser Oper aufgeführt wurde.

In den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts widmet sich Gossec der musikalischen Ausbildung und ist 1795 an der Gründung des Conservaroire de musique maßgeblich beteiligt, zu dessen Inspektoren er zusammen mit den Komponisten Grétry, Luigi Cherubini, Étienne-Nicolas Méhul und Jean-François Le Sueur berufen werden. Während des Ersten Kaiserreichs unter Napoléon (1804 – 1815) versiegen seine kompositorischen Aktivitäten zunehmend. Mit seiner „Symphonie à 17 parties“ (1808 – 1809) und seiner „Messe des vivants“ (1813) setzt er noch einmal einen letzten kreativen Höhepunkt. Ab 1815 lebt er zurückgezogen in Passy bei Paris, wo er 1829 stirbt.

Stand: November 2019