Über Männlichkeiten
Kuratorin Alona Pardo stellt die Gruppenausstellung im Gropius Bau vor
Die Ausstellung Masculinities: Liberation through Photography untersucht in sechs thematischen Abschnitten, wie Männlichkeit durch Fotografie und Film von den 1960er Jahren bis heute kodiert, dargestellt und gesellschaftlich konstruiert wurde.
Was als „männlich“ betrachtet wurde, hat sich in verschiedenen historischen Epochen und innerhalb verschiedener Kulturen erheblich verändert. Im 21. Jahrhundert erscheint es angebrachter, über „Männlichkeiten“ im Plural nachzudenken, um zu unterstreichen, auf welch vielfältige Arten man ein Mann sein oder eben werden kann.
Dabei stehen Vorstellungen von Männlichkeit zunehmend auf dem Prüfstand und werden als „toxisch“ oder „fragil“ diskutiert. Besonders aktuell ist eine Untersuchung dieses weitreichenden Themas angesichts des globalen soziopolitischen Klimas: Ein „maskulinistischer Nationalismus“, gekennzeichnet durch männliche Führer, die der Welt ihr Bild als „starke“ Männer präsentieren, steht den Aktivitäten der #MeToo-Bewegung gegenüber.
Indem die Arbeiten der Ausstellung Themen wie queere Identität, den Schwarzen Körper, Macht und Patriarchat, die Wahrnehmung von Männern durch Frauen, heteronormative Stereotypen, hegemoniale Männlichkeit und die Familie berühren, präsentieren sie Männlichkeit als eine unfixierte performative Identität, die von kulturellen und sozialen Kräften geprägt ist. In den letzten fünf Jahrzehnten haben Künstler*innen immer wieder versucht, jene engen Definitionen von Geschlecht zu durchbrechen und durcheinander zu bringen, die gesellschaftliche Strukturen bestimmen – und so neue Wege des Nachdenkens über Identität, Geschlecht und Sexualität zu fördern.

Thomas Dworzak, Taliban portrait. Kandahar, Afghanistan, 2002
© Collection T. Dworzak/Magnum Photos

Sam Contis, Untitled (Neck), 2015
© Sam Contis, Courtesy: die Künstlerin und Klaus von Nichtssagend Gallery, New York
Im ersten Ausstellungsabschnitt, Disrupting the Archetype, richten verschiedene Künstler*innen ihren präzisen Blick auf Soldaten, Cowboys und Athleten, auf Bodybuilder und Wrestler – und setzen diese subversiv in Szene. Das Militär spielt eine große Rolle in Thomas Dworzaks gefundenen Fotografien von Taliban-Kämpfern, die in direktem Widerspruch zu deren übermaskulinem Bild in der Öffentlichkeit stehen, während Collier Schorr und Sam Contis den wohl beständigsten Archetyp amerikanischer Männlichkeit thematisieren: den zeitgenössischen Cowboy.
Male Order lädt die Betrachter*innen ein, über die Konstruktion von männlicher Macht, Geschlecht und Klasse nachzudenken. So wird in Richard Avedons ehrgeizigem Projekt The Family (1976) die Beziehung zwischen dominanter Männlichkeit und politischer Führung untersucht, für das er wichtige Politiker, Abgeordnete und Industriekapitäne fotografiert hat, die die Zügel der wirtschaftlichen und kulturellen Macht in der Hand hielten. Sowohl Karen Knorrs sardonische Serie Gentlemen (1981–83) als auch Clare Strands spielerisch-subversives Werk Men Only Tower (2017) laden zum Nachdenken über die Position des Patriarchats ein und reflektieren darüber, wie andere aus den Korridoren der Macht ausgeschlossen wurden.

Masahisa Fukase, Upper row, from left to right: A, a model; Toshiteru, Sukezo, Masahisa. Middle row, from left to right: Akiko, Mitsue, Hisashi Daikoji. Bottom row, from left to right: Gaku, Kyoko, Kanako, and a memorial portrait of Miyako, 1985
Aus der Serie Family, 1971–90
© Masahisa Fukase Archives
Seit ihrer Erfindung ist die Fotografie ein mächtiges Werkzeug bei der Konstruktion und Dokumentation von Familiengeschichten. Im Gegensatz zu den Konventionen des traditionellen Familienporträts haben die Künstler*innen in Too Close to Home: Family and Fatherhood bewusst die „Unordnung“ des Lebens festgehalten, indem sie über Frauenfeindlichkeit, Gewalt, Sexualität, Sterblichkeit, Intimität und sich entfaltende Familiendramen reflektieren. Vertreten sind unter anderem die Werke des japanischen Künstlers Masahisa Fukase, die als zarte und ergreifende Studie über Leben und Tod seines Vaters auch eine Meditation über den Verlust der Männlichkeit im Alter liefern.
Die Werke im Abschnitt Queering Masculinity zeigen, wie Künstler*innen seit den 1960er Jahren allen Vorurteilen und rechtlichen Zwängen zum Trotz, denen die Homosexualität in Europa, den Vereinigten Staaten und darüber hinaus im letzten Jahrhundert ausgesetzt war, eine neue, politisch aufgeladene queere Ästhetik geschaffen haben. Für Künstler wie Robert Mapplethorpe, Peter Hujar, George Dureau, David Wojnarowicz und Sunil Gupta, die im Jahrzehnt nach den Stonewall-Riots 1969 künstlerisch bekannt wurden, ging es nicht nur darum, den heterosexuellen Binärdiskurs der Geschlechter zu problematisieren und unterdrückende homosexuelle Stereotypen zu zerschlagen, sondern auch darum, ihre Queerness als natürlichen Seinszustand zu feiern.
Reclaiming the Black Body stellt Künstler*innen in den Vordergrund, die bewusst die Erwartungen an Race, Geschlecht und den weißen Blick untergraben haben und die Macht zurückforderten, ihre eigene Identität zu gestalten. Die Darstellung Schwarzer Männlichkeit in den USA, die in sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Unterdrückung und Repression verwurzelt ist, geht auf die gewalttätige Geschichte von Sklaverei und Vorurteilen zurück. Unbranded: Reflections in Black by Corporate America 1968–2008 von Hank Willis Thomas lenkt die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie US-amerikanische Unternehmen die afroamerikanische Männlichkeitserfahrung zur Ware gemacht und gleichzeitig kulturelle und rassistische Stereotypen aufrechterhalten und verstärkt haben.
Als die zweite Welle der feministischen Bewegung in den 1960er und 70er Jahren an Schwung gewann, versuchten Aktivist*innen, tief verwurzelte Vorstellungen von Männlichkeit zu entlarven, zu kritisieren und alternative Perspektiven auf Geschlecht und Repräsentation zu artikulieren. Vor diesem Hintergrund lassen sich viele Arbeiten der in Women on Men: Reversing the Male Gaze versammelten Künstlerinnen lesen: Laurie Andersons prägnante Serie Fully Automated Nikon (Object/Objection/Objectivity) aus dem Jahr 1973 entlarvt den beiläufigen Sexismus, dem Frauen im New York der 1970er Jahre täglich begegnet sind, während Marianne Wex in ihrer vorausschauenden enzyklopädischen Arbeit Let's Take Back Our Space (1977) die Idee des „Manspreading“ aufruft, lange bevor der Begriff erfunden wurde.
Alona Pardo
Kuratorin der Ausstellung

Rotimi Fani-Kayode, Untitled, ca. 1985
© Rotimi Fani-Kayode, courtesy: Autograph, London