“How Do Plants Practice Politics?”

7 Fragen an Zheng Bo anlässlich seiner Ausstellung „Wanwu Council 萬物社“

Als In House: Artist in Residence 2020 untersuchte der Künstler und Theoretiker Zheng Bo, wie eine nachhaltige Beziehung zwischen Natur und Kultur aussehen könnte. Durch Gespräche mit Experten*innen aus interdisziplinären Bereichen, eine tägliche Zeichenpraxis, partizipative Übungen und ein Filmprojekt erweiterte Zheng Bo seine Forschung zu diesen Themen, die nun in seiner Ausstellung Wanwu Council 萬物社 im Gropius Bau zu sehen sind. Im folgenden Gespräch erklärt der Künstler, warum Pflanzen nie allein betrachtet werden sollten und was wir von ihren verflochtenen Lebensformen lernen können.

Zheng Bo, Drawing Life (Cold Dew), 2020-2021

Zheng Bo, Drawing Life (Cold Dew), 2020-2021. Courtesy: der Künstler und Edouard Malingue Gallery

© Zheng Bo, Foto: Luca Girardini

Sonja Borstner: Ihre Ausstellung Wanwu Council 萬物社 bezieht sich auf den daoistischen Begriff wanwu. Was bedeutet dieses spezifische Konzept für Ihre Praxis?

Zheng Bo: Der Begriff wanwu bezeichnet im heutigen Chinesisch alles zwischen Himmel und Erde und kann mit „Myriaden von Ereignissen“ übersetzt werden. Wan meint im Chinesischen wörtlich zehntausend; wu ist im heutigen Verständnis ein Objekt, aber in der traditionellen Philosophie kann es auch ein Phänomen, ein Geschehen sein – es umfasst alle Formen des Seins. In meiner Praxis habe ich mich auf Pflanzen konzentriert, die natürlich auch Teil von wanwu sind. Innerhalb des Pflanzenreichs gibt es Milliarden von Wesen, die niemals für sich allein betrachtet werden sollten, da sie gleichzeitig Brücken zu anderen Lebensformen sind.

Sonja Borstner: Während Ihrer Zeit als In House: Artist in Residence am Gropius Bau im Jahr 2020 haben Sie gefragt: „Wie machen Pflanzen Politik?“ Können Sie erklären, was Sie zu dieser Frage geführt hat und was Sie damit meinen?

Zheng Bo: Ich arbeite in meiner künstlerischen Praxis seit zehn Jahren mit Pflanzen, und für mich ist es wichtiger, Sensibilitäten zu kultivieren als Werke oder Projekte herzustellen. Wenn ich jetzt einer Pflanze begegne, kann ich sofort ihr biologisches Wesen spüren – ich kann ihr Leben fühlen – aber ich kann noch immer nicht ihr politisches Wesen empfinden so wie ich das politische Wesen eines Menschen erkenne, wenn ich einer Person begegne. Ich denke, es ist wichtig, dass wir auch andere Lebensformen in diesen Dimensionen wahrnehmen können, denn wenn wir uns wirklich in eine Zukunft bewegen wollen, in der wir uns nicht als Mittelpunkt der Welt sehen, müssen wir „nicht-menschliche“ Wesen mit Respekt und Gleichberechtigung behandeln. Deshalb habe ich während meines Aufenthalts in Berlin ein Filmprojekt mit dem Titel The Political Life of Plants (2021) begonnen; ich habe oft das Gefühl, dass die Bedeutung der Kunst darin besteht, mich selbst dazu zu drängen, mich wirklich zu öffnen – um zu versuchen, merkwürdige Fragen wie diese zu beantworten: „Wie kann ich das politische Leben der Pflanzen spüren?“

Zheng Bo, The Political Life of Plants 植物的政治生活, 2021

Zheng Bo, The Political Life of Plants 植物的政治生活 (2021). Film (4K Video, Schwarz-Weiß, Farbe, 2-Kanal-Ton), 31 Min. Courtesy: der Künstler

Sonja Borstner: Sie haben gerade Ihren Film angesprochen. Was ist der Schwerpunkt dieser neuen Produktion?

Zheng Bo: Für The Political Life of Plants 植物的政治生活 haben wir zwei Wochen in einem alten Buchenwald im brandenburgischen Grumsin verbracht, um nachzudenken und zu versuchen, mit der uns zur Verfügung stehenden Sensibilität wahrzunehmen, in welcher Weise auch der Wald eine politische Sphäre ist und wie verschiedene Seinsformen im Wald politische Entscheidungen treffen. Ich habe mit zwei Ökolog*innen gesprochen: Matthias Rillig vom Institut für Biologie und dem Berlin-Brandenburgischen Institut für Biodiversitätsforschung der Freien Universität Berlin und Roosa Laitinen, die am Max-Planck-Institut Potsdam die Forschungsgruppe Molekulare Anpassungsmechanismen von Pflanzen leitet. Ihre wissenschaftliche Forschung hilft mir, die Lebens- und Handlungsweisen von Pflanzen zu verstehen oder wahrzunehmen. Roosa erforscht zum Beispiel die genetischen Grundlagen der pflanzlichen Anpassung und ich habe von ihr gelernt, dass Pflanzen mit ihren Körpern unglaublich flexibel sind. Sie können groß und klein werden, ihre Blütezeiten modifizieren und die Größe ihrer Blüten verändern, wenn unterschiedliche Umweltbedingungen vorherrschen. Im Film habe ich versucht, dies den Zuschauer*innen verständlicher zu machen. Wenn wir ans Politik machen denken, neigen wir dazu, das Verhalten und nicht den Körper in den Mittelpunkt der Politik zu stellen. Wenn wir zum Beispiel umweltbewusster werden wollen, denken wir darüber nach, was wir nicht essen oder was wir in Bezug auf den Verkehr ändern sollten, aber wir denken nicht unbedingt darüber nach, wie wir unseren Körper verändern können. Meine Neugier darauf, wie Pflanzen Politik betreiben, bedeutet also auch, über die Grenzen aber vielleicht auch über die Potenziale unserer Politik nachzudenken.

Sonja Borstner: Während Ihrer Zeit im Gropius Bau haben Sie den Begriff Gropius Hain geprägt, der sich auf eine Reihe von Platanen an der Westseite des Gebäudes bezieht. Die Menschen, die im Gebäude arbeiten, haben diesen Bereich bisher mehr als Parkplatz, denn als kleinen Wald verstanden – was hat Sie dazu gebracht, den Außenbereich anders wahrzunehmen?

Zheng Bo: Ich kam im Sommer nach Berlin und die Bäume waren sehr lebendig. Und das Einzige, was ich von meinem Atelier im obersten Stockwerk aus sehen konnte, waren diese Bäume. Die Autos habe ich vom Atelier aus nicht wahrgenommen, weil sie durch die Baumkronen verdeckt waren. Aus dieser Perspektive sah ich also die fast genau 100 Platanen eindeutig als kleinen Wald – so ähnlich wie die Vögel, die über den Gropius Bau flogen. Für mich ist es daher offensichtlich, dass der Gropius Bau nicht bloß ein Gebäude ist – er besteht aus dem Gebäude und den Bäumen draußen. Dennoch denke ich, dass wir einiges tun müssen, um es allen, die in die Institution kommen, deutlich zu machen. Deshalb werden wir eine Intervention im Außenbereich anbringen, um Besucher*innen anzulocken, sich dort aufzuhalten und den Bäumen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ich hoffe, dass diese kleine Intervention andere Künstler*innen oder die Öffentlichkeit und Leute innerhalb der Institution dazu inspirieren wird, diesen Bereich weiter zu transformieren. Für mich geht es bei dem Aufenthalt im Gropius Bau darum, einen Beitrag zur Zukunft dieses Raums zu leisten und dieses Projekt – meinen Aufenthalt und die Ausstellung – möglichst relevant für den lokalen Kontext und die lokalen Themen zu machen.

Zheng Bo, Botanical Comrades 植物同志, 2020

Zheng Bo, Botanical Comrades 植物同志, 2020

© Gropius Bau, Foto: Laura Fiorio

Innerhalb des Pflanzenreichs gibt es Milliarden von Wesen, die niemals für sich allein betrachtet werden sollten, da sie gleichzeitig Brücken zu anderen Lebensformen sind.
Zheng Bo, 2021

Sonja Borstner: Ihr künstlerischer und wissenschaftlicher Ansatz ist sehr eng mit den 24 Halbmonaten des Lunisolarkalenders verbunden, weshalb auch Ihre Ausstellung Wanwu Council 萬物社 im Gropius Bau danach aufgebaut ist. Können Sie erklären, wie der Lunisolarkalender Ihre Praxis leitet?

Zheng Bo: Es ist im Wesentlichen nur eine Dimension – die zeitliche Dimension – die meine Praxis leitet. Wir sind so sehr an die Woche, den Monat und das Jahr gewöhnt – an den Kalender, der unser Leben global strukturiert und den kapitalistischen Produktions- und Konsummodi entgegenkommt. Der Lunisolarkalender hingegen wurde entwickelt, um den Menschen zu helfen, den Wechsel der Jahreszeiten zu spüren. Für mich ist dies ein sehr einfacher Weg, unsere Ökosensibilität zu kultivieren. Zeitliche und räumliche Dimensionen üben einen so unauffälligen Einfluss auf unser Weltbild aus, dass es entscheidend ist, bei der Art und Weise der Zeitbestimmung anzusetzen.

Sonja Borstner: Im August 2021 treffen Sie sich mit einer Gruppe von Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Gärtner*innen zu einer dreitägigen Zusammenkunft in Berlin, um ein Manifest zu verfassen, wie eine nachhaltige Zukunft aussehen könnte. Warum interessieren Sie sich für die Idee eines Council (dt.: ‚Rat‘) und was versprechen Sie sich von der Begegnung mit diesen Experten*innen?

Zheng Bo: Im Wanwu Council werden zwölf menschliche Teilnehmer*innen zusammenkommen, um verschiedene Seinsformen wie Platanen, Füchse, Mikroben und Geister zu kanalisieren und darüber nachzudenken, wie sich eine kulturelle Institution wie der Gropius Bau in eine mehr-als-menschliche Zukunft bewegen kann. Ich habe diese Provokation initiiert – aber was tatsächlich passieren wird, hängt sehr stark von der kollektiven Weisheit der Gruppe ab. Ich kann mir vorstellen, dass wir alle ein starkes Engagement für eine lebendige, ökologische Zukunft teilen, aber die Frage, wie man eine Institution wie den Gropius Bau verändern kann, ist eine Herausforderung. Ich denke, alles Mehr-als-Menschliche ist eine unglaubliche Herausforderung, weil wir in einer anthropozentrischen Ära leben. Fast alle von uns sind mit einem anthropozentrischen Weltbild aufgewachsen und haben aus diesem heraus Bildung erhalten, gelernt Kunst zu betrachten, herumzulaufen, Räume zu gestalten und an der Politik teilzunehmen. Der Wanwu Council bietet die Möglichkeit, drei Tage lang gemeinsam zu versuchen, jenseits der anthropozentrischen Perspektive zu leben, zu denken, zu gehen und sich Dinge vorzustellen. Ich hoffe auch, dass zukünftige Councils organisiert werden können, vielleicht von anderen, und dass schließlich ein dauerhafter Council eingerichtet wird.

Zheng Bo beim Zeichnen auf Lantau Island, 2020

Zheng Bo auf Lantau Island, 2020. Courtesy: der Künstler und Edouard Malingue Gallery, Foto: Kwan Sheung Chi, 2020

Sonja Borstner: Für eine neue Serie mit dem Titel Ecosensibility Exercises ⽣態感悟練習 (2021) werden Sie täglich verschiedene Workshops mit Besucher*innen durchführen. Was ist Ihr Interesse an der Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort? Und können Sie einige der Übungen erklären?

Zheng Bo: Es wird sechs Übungen geben. Ich werde sie jeden Tag während der Ausstellung anleiten. Die Besucher*innen können sich auf der Plattform draußen inmitten der Platanen zu mir gesellen, um zu zeichnen, mit der Energie der Bäume zu interagieren, für sie zu singen, sie zu ehren und mit ihnen zu tanzen. Das Ziel dieser Ecosensibility Exercises ist es, das Menschenzentrierte in unserem Leben hinter uns zu lassen. Wir sind so unempfindlich gegenüber anderen Lebensformen, gegenüber Energien und Materialitäten. Wir – und ich schließe mich selbst ein – müssen ökosensibler werden. Ich denke, viele von uns erkennen jetzt, dass wir uns in einer planetaren ökologischen Krise befinden, und wir wissen, dass wir uns ändern müssen. Vielleicht hat sich unsere Ideologie bereits geändert, aber eine andere Ideologie zu haben, bedeutet nicht immer, dass wir auch unsere Praxis ändern. Für mich besteht also ein wichtiger Teil unserer Transformation darin, unsere Sensibilität so zu verändern, dass wir beim Umhergehen, Pflanzen nicht ignorieren und ihr Leben auch ohne fokussierte Aufmerksamkeit wahrnehmen können; dass wir immer ein Gefühl der Demut empfinden. Diese Übungen sind Praktiken für mich selbst, aber meine Absicht ist natürlich, dass die Besucher*innen der Ausstellung sich mir vielleicht ein- oder zweimal anschließen – und dann in ihrem eigenen täglichen Leben weiterüben. Als Künstler*innen möchten wir immer neugierig sein, wir wollen uns engagieren, unsere Sensibilität entwickeln, aber wir müssen uns auch sehr bewusst sein, welche Wege und welches Medium wir dafür nutzen.

Zheng Bo, Botanical Comrades 植物同志, 2020

Zheng Bo, Botanical Comrades 植物同志, 2020

© Gropius Bau, Foto: Laura Fiorio

Zheng Bo lebt und arbeitet auf Lantau Island, Hongkong. Seine Einzelausstellung Wanwu Council 萬物社 im Gropius Bau wird am 21. Juni eröffnet und läuft bis zum 23. August 2021. Parallel zu seiner Präsentation im Gropius Bau zeigt die Schering Stiftung in Berlin die Arbeit You are the 0.01% von Zheng Bo, die bis zum 30. September 2021 zu sehen sein wird. Seine Arbeiten befinden sich in der Sammlung der Power Station of Art in Shanghai, des Hong Kong Museum of Art, des Singapore Art Museum und des Hammer Museum in Los Angeles. Seine Projekte sind in der Liverpool Biennale 2021, der Yokohama Triennale 2020, der Manifesta 12, der 11. Taipei Biennale und der 11. Shanghai Biennale vertreten. Zheng Bo lehrte von 2010 bis 2013 an der China Academy of Art und unterrichtet derzeit an der School of Creative Media, City University of Hong Kong, wo er die Wanwu Practice Group leitet.