Nggàm dù
Spinnenwahrsagung in Somié, Kamerun
„Nggàm dù“ ist ein Webportal der Spinnenwahrsager*innen aus Somié im Kamerun, um ihre Praxis des Wahrsagens mit anderen zu teilen. Das Projekt wurde auf ihren Wunsch hin gemeinsam mit der „Arachnophilia“-Community und deren Gründungsmitglied Tomás Saraceno entwickelt.

Spinnennetz im Inneren einer Ŋgam dù-Wahrsagekammer, 2019. Mit freundlicher Genehmigung des Wahrsagers, der Spinne und von „Nggàm dù“. Foto: Studio Tomás Saraceno
Das Wort „Ŋgam“ (Nggàm) bezieht sich sowohl auf die Praxis des Wahrsagens als auch auf die am Boden lebende Spinne, deren Weisheit dabei konsultiert wird. Während der Zeremonie des Ŋgam dù werden dem Spinnenorakel eine Reihe von binären Fragen gestellt, deren Antworten aus der spezifischen Neuanordnung der Wahrsagekarten des Arachnomanten durch die Spinne gedeutet werden.
Das gleichnamige Webportal „Nggàm dù” widmet sich den unzähligen Kommunikationsprozessen zwischen Mensch und antwortender Spinne – jenseits der Begrenzungen durch Sprache, Zeitzonen und Spezies. Auf der Suche nach einem besseren Gleichgewicht zwischen Menschen, Techno- und Biosphäre wird ein Dialog mit unseren arachniden Verwandten eröffnet. Als Zusammenarbeit mit den Spinnenwahrsager*innen in Somié und dem „Arachnophilia“-Unterstützer David Zeitlyn ist „Nggàm dù” auch eine Meditation über die Möglichkeiten wechselseitiger, interkultureller und speziesübergreifender Beziehungen.
Da indigenes Wissen auf der ganzen Welt zunehmend bedroht ist, legt das Projekt großen Wert darauf, ein Bewusstsein und eine Sensibilität für die Gewalt zu schaffen, die im Kontext der historischen Begegnungen mit außereuropäischen Kulturen stattgefunden hat. Die Absicht des Projekts besteht nicht darin, sich Objekte oder Ideen anzueignen, sondern den Wunsch der Spinnenwahrsager*innen zu unterstützen, eine eigene Plattform zu realisieren, die das Wissen und die Praktiken bewahrt, die die Menschen von Somié mit der Welt teilen möchten. Das Zuhören mit akuter Sensibilität – eine „Kunst des Wahrnehmens“ (und der Wertschätzung) gegenüber der Weisheit der Spinnen – soll dazu beitragen, die historische Praxis der Mambila in Kamerun zu archivieren.
Im Sinne der Absicht des Projekts, die Praxis des Ŋgam dù zu erhalten und die Menschen in Somié zu unterstützen, werden interessierte Teilnehmer*innen eingeladen, die Spinne(n) gegen eine festgelegte Gebühr zu konsultieren. Das durch die Konsultationen gesammelte Geld fließt in ein Programm lokaler Projekte und in die Vergütung der Wahrsager*innen. Für weitere Informationen über den Teilnahmeprozess und die Spendengebühr wenden Sie sich bitte über das Webportal „Nggàm dù“ an das Studio Tomás Saraceno.
Unter den Wahrsager*innen des Dorfes stellt „Nggàm dù“ insbesondere die Arbeit von Bollo Pierre Tadios vor, einem Maler und Spinnenwahrsager, der das Wahrsagen fast sein ganzes Erwachsenenleben lang praktiziert hat. Bollos Familie steht in enger Verbindung mit dem Oberhaupt von Somié, weshalb er eine wichtige Rolle bei verschiedenen Dorfangelegenheiten spielt: Er arbeitet als Waldhüter und hilft, die Wilderei in der Gegend einzudämmen. David Zeitlyn, Professor für Anthropologie an der Universität Oxford, arbeitet seit 1985 mit dem Volk der Mambila in Kamerun zusammen und steht durch seine umfangreichen Forschungen zum Wahrsagen in engem Kontakt mit den Bewohner*innen des Dorfes.
Danksagungen
Das Projekt wurde auf Anfrage der Spinnenwahrsager*innen von Somié im Kamerun gemeinsam mit der „Arachnophilia“-Community und deren Gründungsmitglied Tomás Saraceno realisiert. Das auf der Website veröffentlichte Material ist und bleibt geistiges Eigentum der Wahrsager*innen und der Bevölkerung von Somié. Darüber hinaus werden alle durch „Nggàm dù“ gesammelten Gelder für ein Programm lokaler Projekte gespendet, wie sie im Webportal beschrieben werden.
Unterstützt von David Zeitlyn und Penny Fraser, zusammen mit Studio Tomás Saraceno, „Aerocene“ und „Arachnophilia“, insbesondere Ollie George, Ally Bisshop, Sarah Kisner, Dario J Laganà, Lars Behrendt, Claudia Meléndez, Manuela Mazure und Jillian Meyer.
Begeben Sie sich mit Tómas Saraceno von der Arachnophobie zur Arachnophilie
Mehr über Tómas Saracenos interdisziplinäre Initiative „Arachnophilia“, die sich Spinnen und ihren Netzen widmet.
Gegen das sechste Massenaussterben: das Digitale umkehren, um analoge Beziehungsformen zwischen den Arten zu erweitern und neu zu priorisieren; neue Wege finden, die andere Formen des lokalen und gelebten Wissens anerkennen, unterstützen und teilen, das jenseits hegemonialer westlicher Narrative und extraktivistischer Rahmenbedingungen ein alternatives Verständnis der Welt entwickelt. Tomás Saraceno fordert eine Umweltgerechtigkeit, die eine erweiterte Sensibilität für unsere Koexistenz mit nicht-menschlichen Akteur*innen ermöglicht, und eröffnet mit seinen künstlerischen Kollaborationen neue Beziehungen zu terrestrischen, atmosphärischen und kosmischen Bereichen, insbesondere durch seine Gemeinschaftsprojekte „Aerocene“ und „Arachnophilia“.
„Arachnophilia“ ist eine interdisziplinäre, forschungsbasierte Initiative, die aus Saracenos mehr als zehnjähriger Zusammenarbeit mit Menschen, Spinnen und ihren Netzen entstanden ist. „Arachnophilia“ erforscht Konzepte und Ideen im Zusammenhang mit Spinnen und ihren Netzen in verschiedenen wissenschaftlichen und theoretischen Disziplinen, wie zum Beispiel der Schwingungskommunikation, der Biomaterialforschung, in Architektur und Ingenieurwesen, Tierethologie, nicht-menschlicher Philosophie, Anthropologie, Biodiversität/Umweltschutz,
Klangstudien und Musik. Seit 2019 schlägt „Arachnophilia“ neue, spekulative und technologische Wege vor, um affektive Beziehungen zwischen Spinnen und Menschen zu erschließen und digitale Werkzeuge zu nutzen, um die Verwandtschaft zwischen den Spezies in der Technosphäre und der Biosphäre zu kultivieren.
Um die Möglichkeiten der Schwingungskommunikation über verschiedene Sinneswelten hinweg zu erweitern, wurde anlässlich der Venedig Biennale 2019 die Arachnomancy App vorgestellt. Durch diese App werden Nutzer*innen dazu ermutigt, die Spinnennetze wahrzunehmen, denen sie sowohl in unberührter Landschaft als auch im städtischen Raum begegnen. Durch das Imaginieren von Möglichkeiten, sich mit nicht-menschlichen Seinsformen in Einklang zu bringen und sie wertzuschätzen, gehen Arachnomancy-Praktiken nicht nur davon aus, dass die Spinne/das Netz etwas zu sagen hat, sondern, dass dies auch wert ist, gehört – oder besser gesagt: wahrgenommen – zu werden. Eine Botschaft aus vibrierenden sensorischen Welten, die für uns noch unsichtbar sind. Auf diese Weise versucht Arachnomancy, die menschliche Tendenz zu überwinden, Wissen an Sprache zu binden, so dass Praktiken des Fühlens – anstelle von Syntax – in den Vordergrund treten können.