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Martin Wuttke reads Antonin Artaud
Berliner Festspiele at Salon Noir
part of the complementary programme of the exhibition “Melancholy. Genius and Madness in the Art”
Antonin Artaud, Extremist des Theaters schlechthin, radikal, rauschhaft, grenzüberschreitend – und selbstzerstörerisch. Er revolutionierte die Sicht auf das Theater und das Theater selbst durch seine das Geschlossene und Harmonische sprengende Kraft. Er kämpfte gegen die harmlose Verdoppelung des Lebens durch das Theater und für ein Theater der Grausamkeit, das rauschhaft und elementar ist. Artaud war ein wahnsinniger, rasender Vorläufer dessen, was wir heute Performance-Kunst nennen.
Nach Jahren der Internierung in der Psychiatrie wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, mit Drogen und Medikamenten abgefüllt und Elektroschocks behandelt, wird er 1946 auf Betreiben von Freunden schließlich entlassen. Er schreibt den Text „Pour en finir avec le jugement de dieu“, „Schluss mit dem Gottesgericht“ als Radiostück. Es ist eine verzweifelte Abrechnung mit der moralischen Forderung an das Theater und seine Darsteller und zugleich ein „Angriff der zentralen Machtinstanz“ (Julia Kristeva): gegen die staatlichen, universitären, familialen und religiösen Institutionen und ihr Fundament, die Sprache.
Martin Wuttke ist ein grandioser Schauspieler, der einen Extremismus der Form verkörpert. Seine Instrumente – Stimme, Körper, Sprache, Geist – sind ihm nicht heilig, sondern er setzt sie radikal und kongenial ein. Er spricht der sauberen Trennung zwischen Darsteller und Dargestelltem, der Generalberuhigung im Theater, alles sei ja ‚nur’ gespielt, Hohn. Mit der Lesung von „Schluss mit dem Gottesgericht“ setzt Wuttke seine Auseinandersetzung mit Antonin Artaud fort, die am Berliner Ensemble mit der Aufführung „Artaud erinnert sich an Hitler und das Romanische Café“ von Tom Peuckert begann.