Konzert | Gastorchester
Eröffungskonzert
Der Klang von Nomos Gamma macht den Raum zur Erfahrung. Die Orchesterinstrumente sind im Saal verteilt, umgeben den Hörer. Die Musik predigt nicht, sondern zieht den Hörer in ihre Mitte, in ihr Kraftzentrum, aus dem heraus sich die Musik zum Ritual entfaltet. Nomos Gamma antwortet auf die Eruption der Katastrophen, welche die Erfahrung der Weltkriegsgeneration, besonders der Verfolgten unter ihnen, prägte. Eine ähnliche Überlegung muss Dmitri Schostakowitsch im Sommer 1945 dazu gebracht haben, mit seiner Neunten Symphonie nicht die offiziellen Erwartungen von Monumentalität und triumphalem Durchbruch zu erfüllen. Er begab sich auf die Rückseite der großen Gesten und der Siegerposen, dorthin, wo sich das Erleben der Menschenmehrheit abspielt, und »meldete sich mit der Schärfe eines intuitiven Volkstümlers zu Wort« (S. Wolkow). Mit Triumphtönen lassen sich Sieger feiern; aber Siege der Militärs und der Macht bedeuten nicht auch Siege der Menschlichkeit.
Das Nachdenken über Tod und Vergänglichkeit vermag zivilisierend auf die Menschen zu wirken und die Hybris von Macht und Gewalt zu bremsen. Deshalb enthielten Bilder vom Tod und vom Totenreich immer auch Projektionen von Lebensvorstellungen oder von Ideen der Läuterung. Arnold Böcklins Gemälde von der Toteninsel inspirierte etliche Musiker zu Tondichtungen, die das Dunkel ebenso reflektieren wie das gleißende Weiß, das aus ihm hervorsticht. Rachmaninoff gestaltete vor allem die Grundstimmung und die Idee der Überfahrt ins Unbekannte, Ungewisse. Xenakis’ Komposition Ais (eine andere Bezeichnung für die antike Unterwelt, die Bleibe nach dem Tod) aber wurde immer auch so verstanden, dass sich durch die Beschäftigung mit dem Tod der Lebenswille klarer artikuliert.
Iannis Xenakis [1922–2001]
Nomos Gamma für Orchester [1967–68]
Sergei Rachmaninow [1873–1943]
Die Toteninsel [1909]
Symphonische Dichtung nach Arnold Böcklin op. 29
Iannis Xenakis
Aïs für Bariton, Schlagzeug solo und Orchester [1980]
auf Texte von Homer und Sappho
Dmitri Schostakowitsch [1906–1975]
Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70 [1945]
Colin Currie – Percussion
Leigh Melrose – Bariton
BBC Symphony Orchestra
David Robertson – Leitung