Konzert
Vladimir Jurowski, Leitung
Xenakis II | Bartók | Mahler
Die Götter Hades und Persephone als Fürst*innen der Unterwelt, Weihrelief aus Terrakotta, 5. Jh. v.Chr. © De Agostini Editorial / getty images
„Ein Doppelwesen aus Leben und Tod“, so bezeichnete Iannis Xenakis den Menschen. Sein Orchesterwerk „Aïs“, welches das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Vladimir Jurowski aufs Programm gesetzt hat, kreist unter Verwendung von Texten aus Homers „Ilias“ und der „Odyssee“ unaufhörlich um den Augenblick, der allem Leben ein Ende setzt. Auch die Liebe, die aus Béla Bartóks Erstem Violinkonzert ertönt, bleibt flüchtig. Zum Abschluss erklingt Gustav Mahlers Fünfte Symphonie.
Media vita in morte sumus: Die Endlichkeit des Lebens war im Denken von Iannis Xenakis allgegenwärtig – als Erinnerung an die eigene Todesnähe, als der Komponist am 1. Januar 1945 im griechischen Partisanenkampf eine schwere Gesichtsverletzung erlitt und sein linkes Auge verlor. Zu den Werken, die diese Erfahrung aufgreifen, gehört das im Auftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks entstandene Orchesterwerk „Aïs“ (Hades), in dem die vertonten Homer-Texte aus der „Odyssee“ und der „Ilias“ um die Unwiderruflichkeit des Todes kreisen. Zugleich verwies Xenakis, dessen 100. Geburtstag 2022 gefeiert wird, auf attische Grabstelen des 5. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts, auf denen ein „zärtliches, melancholisches Abschiedslächeln die bereits Toten mit den noch Lebenden – selbst künftige Schatten – verbindet“: Die Musik umspielt „die Gefühle und Empfindungen dieses Doppelwesens aus Leben und Tod, das den Namen ‚Mensch‘ trägt, und dessen Existenz unentrinnbar mit diesen Gefühlen und Empfindungen verbunden ist“. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und Vladimir Jurowski beginnen dieses Konzert mit Xenakis’ ergreifendem Klagegesang, der von massiven Fanfaren eingeleitet wird. Letztere, „etwas flüchtig nach Art der Militärfanfaren“ vorgetragen, finden sich auch in Gustav Mahlers Fünfter Symphonie, bei der wohl jeder Hörer um 1900 Assoziationen an die marschierende k. u. k. Armee gehabt haben dürfte. Ebenfalls auf dem Programm: Bartóks „wie in einem narkotischen Traum“ komponiertes Erstes Violinkonzert, das in spätromantischer Emphase als Liebeserklärung für die junge Geigerin Stefi Geyer entstand.
Iannis Xenakis (1922 – 2001)
Aïs
für Bariton, Schlagzeug und Orchester (1980)
Béla Bartók (1881 – 1945)
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 (1907/08)
Gustav Mahler (1860 – 1911)
Symphonie Nr. 5 cis-Moll (1901 – 1904/1911)
Georg Nigl – Bariton
Dirk Rothbrust – Schlagzeug
Vilde Frang – Violine
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Vladimir Jurowski – Leitung
Eine Veranstaltung des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in Kooperation mit Berliner Festspiele / Musikfest Berlin