Im Rahmen der Performing Arts Season präsentiert Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) am 24. Januar 2024 die Uraufführung seines neuen und von den Berliner Festspielen koproduzierten Theaterprojekts „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)” im Haus der Berliner Festspiele. Weitere Aufführungen folgen am 26. und 27. Januar. Gemeinsam mit Expert*innen aus Taiwan untersucht Kaegi, Regisseur und Mitbegründer des Berliner Theaterlabels Rimini Protokoll, den fragilen Zustand des diplomatischen „Dazwischens“ – des Lebens zwischen zwei Großmächten. Das Bühnenstück ist ein Versuch, die Errichtung einer in der realen Welt unmöglichen Botschaft zu simulieren – geschützt durch die Freiheit der Kunst.
Wie kann es sein, dass Taiwan zu den zwanzig größten Wirtschaftszonen und zu den lebendigsten Demokratien Asiens zählt, aber seine Regierung offiziell nicht nach Europa reisen darf? Was bedeutet diplomatische Anerkennung für eine Insel, die droht, zwischen geopolitischen Machtblöcken in Ost und West zerrieben zu werden? Wie kann die subjektive Repräsentationsmaschine Theater zu einer Bühne der Weltpolitik werden?
Geologisch gesehen ist Taiwan Teil des „Pazifischen Feuerrings“, einer seismisch besonders aktiven Zone, in der riesige tektonische Platten aufeinandertreffen, und so kommt es hier immer wieder zu schweren Erdbeben. Ähnlich fragil steht es um die politische Stabilität auf der Insel. Auch sie droht zwischen Machtblöcken und Erschütterungen zerrieben zu werden.
1945 wurde Taiwan als „Republic of China“ eines der Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Aber 1971 stellte Richard Nixon die Beziehungen der USA zum chinesischen Festland wieder her, und die „Republic of China“ musste die Vereinten Nationen verlassen. Seitdem kämpft Taiwan um seine diplomatische Anerkennung. Nur in einem Dutzend Ländern rund um den Erdball haben seine diplomatischen Vertretungen den Status einer Botschaft. Während Taiwan einerseits über zahlreiche internationale Freunde und Handelspartner verfügt, kann es sich keine Nation leisten, die Beziehungen zur Wirtschaftsmacht China abzubrechen, und so wird Taiwan weder von Deutschland noch sonst einem europäischen Land außer dem Vatikan diplomatisch anerkannt. Mit anderen Worten: Taiwan ist nur der sichtbarste Repräsentant eines globalen Dilemmas.
Im Theater sind wir es gewohnt, so zu tun, als ob. Wie könnte eine Vertretung Taiwans auf der Bühne funktionieren? Welche Fahne, welche Hymne und welches Ritual passt in unsere Zeit?
Gemeinsam mit taiwanesischen Künstler*innen hat Stefan Kaegi im Rahmen einer siebenwöchigen Recherche-Residenz im Nationaltheater Taipeh Diplomatinnen, Geologen, Techniker aus der Halbleiterindustrie, Politikerinnen und Geschäftsleute befragt. In „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ stehen nun drei taiwanesische Diplomat*innen auf der Bühne, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten:
David Chienkuo Wu hat seinem Land 37 Jahre lang in unterschiedlichsten diplomatischen Vertretungen gedient – in Südafrika etwa, als dort noch Apartheid galt, in Vietnam, als taiwanesische Unternehmer*innen das Land als Investitionsstandort entdeckten und im zentralamerikanischen Belize, wo er ausnahmsweise die Nationalfahne hissen durfte, weil das kleine Land zu dem guten Dutzend Kleinstaaten gehört, die Taiwan offiziell anerkennen.
Chiayo Kuo dagegen hat nie für das Auswärtige Amt Taiwans gearbeitet, weil sie mit ihrer Taiwan Digital Diplomacy Association überzeugt ist, mit Bildern und Online-Posts die Menschen direkter auf informellem Weg erreichen zu können. Sie steht damit für die Softpower der NGOs, eine kreative Antwort auf die historisch gewachsene institutionelle Diplomatie – wie sie typisch ist für Taiwan.
Debby Szu-Ya Wang vermeidet es, öffentlich über Politik zu sprechen, um ihre Familie und deren Unternehmen zu schützen – sie steht mit ihrer Biografie für eine andere Form von internationalem Netzwerk. Die Musikerin hat ihr halbes Leben in westlichen Ländern verbracht, während das Unternehmen ihrer Eltern mit dem Export von Bubble-Tea-Zutaten einen Weltmarkt erschlossen und damit Hunderte von privatwirtschaftlichen Außenposten für Taiwan errichtet hat.
Gemeinsam simulieren die drei Expert*innen mit vielen Bildern und Musik auf der Bühne die Eröffnung einer in der realen Welt unmöglichen Botschaft – geschützt durch die Freiheit der Kunst. So entsteht die mobile Stichprobe eines Landes, ein transformierbares Architekturmodell, das die drei Expert*innen als Miniaturfilmkulisse für ihre eigene und die Biografie ihres Landes nutzen. Das Publikum wird dabei zu Gästen und zugleich Mitwirkenden einer heiklen politischen Mission, in deren Zentrum nicht zuletzt das Verhältnis von Deutschland zu China steht.
„Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“
Künstlerisches Team
Mit Chiayo Kuo, Debby Szu-Ya Wang, David Chienkuo Wu
Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) – Konzept und Regie
Szu-Ni Wen – Dramaturgie and Regieassistenz
Dominic Huber – Szenografie
Mikko Gaestel – Video
Polina Lapkovskaja (Pollyester), Debby Szu-Ya Wang, Heiko Tubbesing – Musik
Yinru Lo – Recherche
Philip Lin – Videodreh
Caroline Barneaud – Co-Dramaturgie
Kim Crofts – Regieassistenz
Matthieu Stephan – Mitarbeit Szenografie (Trainee)
Aljoscha Begrich, Viviane Pavillon – Outside eyes
Tristan Pannatier (Théâtre Vidy-Lausanne) – Produktion Europa
Mu Chin (National Theater & Concert Hall Taipei) – Produktion Taiwan
Uraufführung am 24. Januar 2024, 19:30 Uhr
Weitere Vorstellungen am 26. & 27. Januar 2024, 19:30 Uhr
Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne
ca. 120 Minuten, ohne Pause
In englischer und chinesischer Sprache
mit englischen und deutschen Übertiteln
Eine Produktion von Théâtre Vidy-Lausanne und National Theater & Concert Hall Taipei in Koproduktion mit Rimini Apparat, Berliner Festspiele, Volkstheater Wien, Centro Dramático Nacional Madrid, Zürcher Theater Spektakel, Festival d’Automne à Paris, National Theatre Drama / Prague Crossroads Festival.
Mit Unterstützung von Centre Culturel de Taiwan à Paris und Prix Tremplin Leenaards / La Manufacture.
Ihre Akkreditierungs- und/oder Interviewanfragen an die beteiligten Künstler*innen nehmen wir gerne unter presse@berlinerfestspiele.de entgegen.
Aktuelle Probenfotos stehen im Pressebereich der Website zum Download bereit.