Éliane Radigue © Eleonore Huisse
Die 1932 in Paris geborene Komponistin Éliane Radigue zählt zu den bedeutendsten Elektronikpionierinnen des 20. Jahrhunderts. Ihr Werk ist geprägt von verschiedenen Phasen, in der sie stets Schwellen und Räumen erkundet, die sich in Intervallen erweitern, und für einen Dialog zwischen Hörerfahrung und innerer Erfahrung, zwischen persönlicher Geschichte und sinnlicher Erinnerung stehen.
Zunächst studierte sie Klavier Harfe, Gesang und Komposition, bevor sich ihr durch den Kontakt mit der musique concrète und die Zusammenarbeit mit Pierre Schaeffer und Pierre Henry am Experimentalstudio des französischen Radios ab 1955 neue Wege öffneten. Zwischen 1967-68 entstanden ihre ersten bekannten Werke, wobei sie Audio-Feedback und asynchrone Strukturen verwendete, die durch das Loopen von Tonbändern entstanden. Die Stücke sind von einer extremer Genauigkeit und der Arbeit an Schwellen und bedrohten Gleichgewichten geprägt. In Frankreich fanden diese frühen Kompositionen jedoch wenig Anerkennung.
In der New Yorker Downtown-Szene wurde Radigue endlich als Künstlerin ernst genommen. Während ihres Aufenthalts in New York lernte sie unter anderem James Tenney, Malcom Goldstein, Philip Glass, Steve Reich, La Monte Young, Phill Niblock, Alvin Lucier und John Cage kennen. Von 1970 bis 1971 war Radigue Composer-in-Residence an der New York University School of the Arts, wo sie Zugang zum modularen Synthesizer Buchla Series 100 (einer der ersten, die jemals hergestellt wurden) im Studio von Morton Subotnik hatte. Radigue experimentierte mit Moog-, Electrocomp (EML)-, Putney (EMS)- und ARP 2500-Synthesizern. Sie kaufte sich einen eigenen ARP 2500 und komponierte in den folgenden Jahrzehnten in Paris fast ausschließlich mit diesem Instrument. Sie entwickelte in dieser Zeit lange Formen mit subtilen Variationen, die zwischen der von der Musik getragenen Geschichte und der für ihre Entfaltung notwendigen Zeit entschwinden und wieder erklingen. Ihre ersten Werke für Synthesizer fanden in den USA große Beachtung, und 1973 wurde Radigue zu einer Residenz in den Studios für elektronische Musik von CalArts und der Iowa University eingeladen. Im Jahr 2006 wurde Radigue für ihr letztes Werk für modularen Synthesizer, L’îIe re-sonante (2000), mit dem renommierten Prix Ars Electronica ausgezeichnet. 2019 würdigte das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe das Lebenswerk der Komponistin mit dem Giga-Hertz-Preis für elektronische Musik und Klangkunst.
In ihrer dritten, bis heute andauernden Schaffensphase komponiert sie ausschließlich akustische Werke, die in enger Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Musiker*innen entstehen. Éliane Radigue betrachtet ihre Instrumentalstücke als lebendige Organismen, die sich im Austausch zwischen Komponistin, Musikern und Zuhörern fortwährend verändern. Zu diesen Projekten gehört das monumentale Occam Océan. Dieser noch nicht abgeschlossene Zyklus umfasst bereits mehr als 70 Stücke für Instrumentalbesetzungen von Solo bis Orchester.
Éliane Radigue hat im Laufe ihres Lebens ein forschendes, anspruchsvolles und inspirierendes Werk hervorgebracht, das heute eine ganz neue Generation von Musiker*innen beeinflusst.
Stand: Oktober 2025