Konzert | Berliner Orchester
Texte, die zu gewaltig sind für eine Liedvertonung, Dichtung, deren Ausrichtung im Musikalischen eine größere Form verlangt: In der Auseinandersetzung mit Goethe und Hölderlin fand Johannes Brahms zu neuartigen Formen im Vokalen und sprengte die herkömmlichen Gattungsgrenzen. In der Altrhapsodie nach Johann Wolfgang von Goethes Gedicht Harzreise im Winter über einen von enttäuschter Liebe Versehrten orientiert sich Brahms eng an der im Gedicht vorgegebenen Struktur. Allerdings schärft er das Profil der einzelnen Strophen, indem er ihnen jeweils ein charakteristisches Gepräge gibt. Dafür verbindet er verschiedene Gattungstraditionen zu einem Miniaturdrama: ein zerrissenes orchestrales Charakterstück mit Arioso, ein dramatisches Orchesterlied und ein versöhnliches, ruhig fließendes Chorstück mit Altsolo.
Eine völlig andere Lösung findet Brahms für das Schicksalslied aus Friedrich Hölderlins Hyperion. Den extremen Kontrast zwischen lichter Götterwelt und menschlicher Geworfenheit löst Brahms in einem instrumentalen Nachspiel auf. »Zum Schluss findest Du hier freilich keinen Text, keinen Chor. Es geht doch durchaus nicht. Es ist doch kein Gedicht, dem man was anflicken kann«, schreibt Brahms einem Freund. Instrumentalmusik wird hier als einzig wirksames Schmerzmittel, als Balsam gegen das monströs Bedrückende der in der Schlussstrophe geschilderten trostlosen Lage des Menschen eingesetzt.
Ferruccio Busoni plante zunächst, das Versdrama Aladdin des dänischem Dichter Adam Gottlob Oehlenschläger zu einem »Gesamtwerk von Schauspiel, Musik, Tanz, Zauberei« heranzuziehen. Der Komponist, der später eine Faust-Oper schrieb, deren Libretto bewusst nicht von Goethe ausging, sah in Aladdin einen volkstümlichen Faust-Stoff und damit eine Alternative zu Goethe. Letzten Endes entschied sich Busoni jedoch gegen eine dramatische Darstellung und stattdessen für ein »architektonisch-landschaftlich-symbolisches Bild« (Busoni). Poetisches Naturschauspiel, napolitanische Landschaft, symbolische Gebäude, Fabelwesen und am Ende ein naturmystischer Schlusschor aus dem Epilog von Aladdin, diese Elemente bestimmen die programmatische Ausrichtung von Busonis Konzert für Klavier und Orchester mit Männerchor op. 39. Der Komponist findet zu einer experimentellen Form, einer Mischung aus Klavierkonzert, symphonischer Dichtung und Chorkantate, mit drei virtuosen, ernsten, überschwänglichen Sätzen, die von zwei leichteren Sätzen aufgelockert werden, ausbalanciert, sich spiegelnd und mit dem finalen Chorsatz gewissermaßen als Apotheose, zu der die Vordersätze hinführen.
Johannes Brahms [1833–1897]
Schicksalslied
für gemischten Chor und Orchester op. 54 [1871]
Johannes Brahms
Rhapsodie für Alt-Solo, Männerchor und Orchester op. 53 [1869]
auf ein Fragment aus J.W. v. Goethes Harzreise im Winter
Ferruccio Busoni [1866–1924]
Konzert für Klavier und Orchester mit Schlusschor op. 39 [1904]
Concerto per un Pianoforte principale e diversi Strumenti ad arco, ad fiato, ed a percussione. Aggiuntovi un Coro finale per voci d’uomini a sei parti. Le parole alemanne del poeta Oehlenschlaeger, danese.
Yvonne Naef – Alt
Marc-André Hamelin – Klavier
Rundfunkchor Berlin
Nicolas Fink – Einstudierung
Eine Veranstaltung des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in Kooperation mit dem musikfest berlin | Berliner Festspiele