Konzert
Mariss Jansons © Marco Borggreve
Ein talentierter junger Komponist, der die neuesten Tendenzen seiner Zeit in den Zentren Paris und Berlin erlebt hat, verlässt Europa, bricht alle Brücken hinter sich ab. Er erklärt seine bisherige Musik für ungültig und beginnt in Amerika ganz neu: Auf der Suche nach neuen Horizonten zieht Edgard Varèse 1915 in die USA. Die Übersiedelung ist ein künstlerischer Befreiungsschlag. New York, Schmelztiegel und brodelnder Feuerkessel, die modernsten Hochhäuser der Zeit, Menschen aus aller Herren Länder und ein rasend schneller Takt, das alles überwältigt den jungen Edgard Varèse bei seiner Ankunft. Die Eindrücke von New York und die Erfahrungen in den USA verarbeitet er in seinem Orchesterwerk Amériques.
Die Musik ist entfesselte Energie und rohe Kraft, die Klänge gehen direkt unter die Haut. Varèse hat darin für sich die Orchestermusik neu erfunden – und all das Revolutionäre, Unerhörte und Frappierende, was er in Europa gehört hat, als er ganz nah am Puls der Moderne war, tollkühn verwirbelt.
Im amerikanischen Exil hat Arnold Schönberg gegen Ende seines Lebens politische Musik geschrieben, einen leidenschaftlichern Appell gegen das Vergessen: A Survivor from Warsaw für Sprecher, Männerchor und Orchester, kurz nach dem zweiten Weltkrieg komponiert, behandelt die Greuel der Shoa anhand eines Augenzeugenberichts aus dem Warschauer Ghetto. Bei der Uraufführung hinterließ das Werk einen so tiefen Eindruck beim amerikanischen Publikum, dass es wiederholt werden musste.
In den USA wurde auch Igor Strawinskys Symphonie des Psaumes uraufgeführt, 1930, als sich noch niemand das Ausmaß der Verheerungen vorstellen konnte, die bald schon Europa heimsuchen sollten. Strawinsky hat für seine Komposition Psalmen herangezogen und sie in expressiver Archaik auf neuartige Weise vertont, wenngleich er sich auf alte Vorbilder bezog: „Meine Ansicht über die Beziehungen zwischen den vokalen und instrumentalen Gruppen gleicht genau dem Verfahren, das die alten Meister anwandten. Auch sie behandelten Chor und Orchester gleich und beschränkten sich weder für die Rolle des Chores auf homophonen Gesang, noch für die Funktion des Orchesters auf Begleitung.“
Samuel Barbers berühmtes Adagio ist ein Frühwerk, das erstmals 1938 von Arturo Toscanini bekannt gemacht wurde. Das kurze Stück ist im Laufe der Zeit zu der großen amerikanischen Trauermusik geworden. Auch am ersten Jahrestag von 9/11 in New York wurde es aufgeführt.
Mariss Jansons kommt mit seinem Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam nach Berlin und präsentiert zusammen mit dem Rundfunkchor Berlin dieses speziell für das Musikfest Berlin 2012 konzipierte Programm amerikanischer Musik, die ihre Wurzeln in Europa hat.
Arnold Schönberg [1874-1951]
A Survivor from Warsaw op. 46
für Sprecher, Männerchor und Orchester [1947]
Igor Strawinsky [1882-1971]
Symphonie des Psaumes
für Chor und Orchester [1930]
Samuel Barber [1910-1981]
Adagio
für Streichorchester [1938]
Edgard Varèse [1883-1965]
Amériques
für großes Orchester (Urfassung) [1918-22]
Sergei Leiferkus Sprecher
Rundfunkchor Berlin / Simon Halsey Einstudierung
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam
Mariss Jansons Leitung