Konzert
33 1/3 Collective, „No More masterpieces“, Videostill 2016 © 33 1/3 Collective
Zwei Institutionen initiierte Pierre Boulez in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre, zwei Institutionen, ohne die das Musikleben in Kompositions- und Interpretationskultur erheblich ärmer aussähe: 1976 nahm das Ensemble intercontemporain, Anfang 1977 das IRCAM, das „Institute de recherche et de coordination acoustique/musique“ seine Arbeit auf. Das Ensemble, das sich aus jungen, auf neue Erfahrung und Vermittlung orientierten Musikern von Solistenqualität bildete, leitete er zwei Jahre selbst, dann gab er die künstlerische Verantwortung an andere weiter; die meisten waren wie er Komponisten und Dirigenten – auch Matthias Pintscher, der das Ensemble seit 2013 dirigiert. Das IRCAM, zu dessen Ehrenpräsident Boulez 1992 ernannt wurde, entwickelte sich sehr schnell zum Forschungs- und Kommunikationszentrum zwischen elektronischen Pionierarbeiten und akustischen Instrumenten. Im Centre Pompidou, wo das IRCAM beheimatet ist, standen die ersten Computer, die Klangtransformationen in Echtzeit leisteten. Ohne das IRCAM hätte der Gebrauch der Live-Elektronik nicht so selbstverständlich durchgesetzt, hätte die ästhetische Richtung der Spektralisten weniger historisch-technischen Rückenwind erhalten. Ihre Kompositionsweise setzt die analytischen Kapazitäten moderner Rechner voraus.
Mit ihrem Programm erinnern das Ensemble intercontemporain und Matthias Pintscher an die Ursprünge der Moderne im Expressionismus, der die Weite seines Denkens und Empfindens in die denkbar knappsten Formen fasste; sie erinnern an Gérard Grisey, den jung verstorbenen Exponenten des Spektralismus, der in „Vortex temporum“ (Zeitenwirbel) zusätzlich mit verschiedenen Zeitschichtungen arbeitet und damit auch Messiaensches Erbe aktualisiert. Boulez‘ „Marteau sans maître“ zählt neben Schönbergs „Pierrot lunaire“ zu den Klassikern der Moderne; Ausdruck und Struktur kommen darin wie bei Alban Berg, wenn auch mit gänzlich anderem Klangresultat, zusammen.
Alban Berg [1885–1935]
Vier Stücke
für Klarinette und Klavier op. 5 [1913/1919]
Gérard Grisey [1946 – 1998]
Vortex Temporum
für Klavier und fünf Instrumente [1995]
Pierre Boulez
Le Marteau sans maître
für Altstimme und sechs Instrumente [1953/1955]
nach Texten von René Char
Salomé Haller Mezzosopran
Dimitri Vassilakis Klavier
Pierre Boulez
© Kai Bienert
Eine Veranstaltung des Pierre Boulez Saals in Zusammenarbeit mit Berliner Festspiele / Musikfest Berlin