Konzert | Gastorchester

The Philadelphia Orchestra

Eröffnungskonzert

Regulären Klavierunterricht hatte Hector Berlioz nie. Der Arztsohn wurde in den begrenzten Möglichkeiten seiner Heimatstadt La Côte-Saint-André in der französischen Provinz in Querflöte, Gitarre und Gesang unterwiesen: »Ich kann dem Zufall danken, der mich in die Notwendigkeit versetzt hat, still und frei komponieren zu lernen. Er hat mich vor der für den Gedanken so gefährlichen Tyrannei der Fingergewohnheiten bewahrt«, bemerkte er später. Berlioz’ Klangvorstellungen richteten sich deshalb nicht nach den Kategorien der Stimmen eines Klaviersatzes. Stattdessen komponierte er direkt mit der Klangvorstellung der vielfältigen Orchesterfarben. In der Symphonie fantastique gelangen ihm auf diese Weise neuartige instrumentale Klänge, um den Drogentraum eines von Liebeskummer verstörten Antihelden in einem instrumentalen Drama in fünf Akten darzustellen.

Seitdem er die Uraufführung der Symphonie fantastique erlebt hatte, war Berlioz für Franz Liszt das großes Vorbild. In einem Aufsatz über Berlioz fragt Liszt rhetorisch: »Sollen diejenigen, die von ihrem Genius und dem Geiste der Zeit zur Erfindung und zum Gusse neuer Formen sich getrieben fühlen, unter das Joch bereits fertiger Formen gebeugt werden?« Natürlich nicht! Das ermutigte den Klaviervirtuosen Liszt, auch auf ureigenem Terrain neue Wege zu gehen. In seinem Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur geht es weder um pianistische Brillanz als Selbstzweck noch um den Wettstreit zischen Solist und Orchester. In unkonventionellen sechs Sätzen, die ohne Zäsur aufeinander folgen und dadurch wie ein einziger Satz wirken, verändert Liszt das Hauptthema seines Konzerts permanent und führt es in immer neue kontrastreiche Zusammenhänge, wie vorher Berlioz seine idée fixe in der Symphonie fantastique. Das Klavierkonzert, das Liszt ursprünglich »Concert symphonique« nennen wollte, gerät zur Symphonischen Dichtung mit obligatem Klavier, ohne dass ein konkretes Programm formuliert wäre. Die Gesetzmäßigkeiten traditioneller Klavierkonzerte hebelt Liszt aus und setzt an deren Stelle das Prinzip der Transformation des Ausgangsmaterials, der Verwandlung, das Geschehen.

Wolfgang Rihms »Musik für Orchester« Verwandlung 3 greift dieses Prinzip schon im Titel auf. Das rund zehnminütige Stück schöpft aus der Opulenz des hochentwickelten romantischen Orchesterapparates, wie er sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Nachfolgern von Berlioz und Liszt bot. Verwandlung 3 ist eine furiose Reflektion jener rauschhaften Orchestereffekte, die Komponisten wie Richard Strauss, Franz Schreker und Erich Wolfgang Korngold für die Moderne ausreizten. Gleichzeitig führt Rihm deutlich vor, wie gefährdet diese hypertrophen Klangmassen sein können.

Konzertprogramm

Wolfgang Rihm [*1952]
Verwandlung 3
Musik für Orchester [2007–08]

Franz Liszt [1811–1886]
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 A-Dur [1839/57]

Hector Berlioz [1803–1869]
Symphonie fantastique op. 14 [1830]