
Harrison Birtwistle © Simon Harsent
„Sowohl zart als auch aggressiv“ – diese Charakterisierung, die Sir Harrison Birtwistle (*1934) einem seiner Stücke gegeben hat, lässt sich auf seine Musik insgesamt ausdehnen. In seinen Werken finden wir lang ausgesponnene Melodien voll lyrischer Emphase, aber auch wütende Zusammenballungen und dissonante Eruptionen. Getragen wird diese innere Vielfalt und Gegensätzlichkeit von einem besonderen Sinn für musikalisches Erzählen. Diese Begabung hat Birtwistle fast zwangsläufig zum Musiktheater geführt, sie prägt aber auch seine textlosen Kompositionen.
Harrison Birtwistle wurde am 15. Juli 1934 in Accrington, einer Kleinstadt in der nordenglischen Provinz, geboren. Er studierte von 1952 an in Manchester Klarinette und Komposition, beschäftigte sich intensiv mit den Werken der neuen Musik und erhielt vielfältige Anregungen vom Umgang mit befreundeten Kommilitonen wie den Komponisten Peter Maxwell Davies und Alexander Goehr oder dem Trompeter Elgar Howarth. Das Komponieren stand längere Zeit hinter einer Karriere als Klarinettist zurück, bis Birtwistle 1965 mit der Komposition „Tragoedia" für Kammerensemble ein schöpferischer Durchbruch gelang. In „Tragoedia“ bezieht sich Birtwistle auf die Ursprünge der Tragödie in dionysischen Riten. Diese Faszination für archaische Riten und für Stoffe aus der Antike wurde zu einer Konstante in seinem Œuvre. Von 1975 bis 1982 wirkte Birtwistle als Musikdirektor am National Theatre in London, schrieb Bühnenmusiken für eine Vielzahl von Stücken und arbeitet intensiv mit dem Regisseur Peter Hall zusammen. Im Jahr 1986 kamen zwei zentrale Werke zur Uraufführung, die Oper „The Mask of Orpheus“ und das Orchesterwerk „Earth Dances", in dem Birtwistle gewaltige klangliche Eruptionen und rhythmische Kräfte entfesselt. Seitdem zählt der bis heute ungebrochen produktive Sir Harrison Birtwistle zu den angesehensten Komponisten unserer Zeit. Als jüngstes Werk wurde Anfang Juni dieses Jahres sein Orchesterwerk „Deep Time“ in der Berliner Philharmonie von der Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim uraufgeführt.
Stand: Juli 2017