Konzert
Decoy mit Joe McPhee, Marilyn Crispell und das Vilhelm Bromander Unfolding Orchestra © Cristina Marx Photomusix, Michael Patrick Kelly, Hampus Andersson
Der Bassist Vilhelm Bromander eröffnet das Festival mit seinem Unfolding Orchestra, das aus hochkarätigen Musiker*innen der Stockholmer Szene besteht. George Lewis spricht im Anschluss in seiner Eröffnungsrede über die Bedeutung des Jazzfest Berlin für die Jazzgeschichte. Es folgt ein seltenes Solokonzert der Pianistin Marilyn Crispell, bekannt für ihre unvergleichliche musikalische Tiefe. Das finale Set bestreitet der legendäre Saxofonist und Trompeter Joe McPhee gemeinsam mit dem Trio Decoy.
18:00
(NL, SE, US)
Deutschlandpremiere
Die Musik des schwedischen Bassisten Vilhelm Bromander ist getragen von einer umfassenden Sensibilität und einer Leidenschaft für Handwerk. Auf der 2023 veröffentlichten Debütaufnahme seines Ensembles knüpft er an die Ära des Spiritual Jazz an. Die Verwendung von indischem Dhrupad-Gesang ist dabei kein bloßes Gimmick: Der Komponist hat seine Mentorin, Sängerin Marianne Svašek, für das Titelstück gewinnen können. Musikalisch strebt Bromander nach Präzision und Authentizität. Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie er seine Stücke für die 13-köpfige Band arrangiert. Die Musik erinnert an den Sound von Carla Bley oder Charlie Haden, wirkt jedoch gleichzeitig wie Protestmusik unserer Zeit.
Das Ensemble schöpft aus dem reichen Potenzial der Stockholmer Jazz- und Improvisations-Szene und besteht aus Größen wie dem Baritonsaxofonisten Alberto Pinton, dem Saxofonisten Martin Küchen oder dem Bassklarinettisten Christer Bothén, einem geschätzten Partner von Don Cherry und Bengt Berger. Auf der dreiteiligen Aufnahme „In This Forever Unfolding Moment“ navigiert das Ensemble zwischen traditionellen indischen Bordunetönen, schwedischen Volksmelodien und elektrisierendem Free Jazz. Die gefühlvollen Melodien treffen dabei auf eine orchestrale Tiefe, die von ausgedehnten Soli bis zum Wechselspiel verdichteter Details alles zu bieten hat – sei es das wirbelnde Spiel der beiden Drummer Dennis Egberth und Anton Jonsson oder die schillernden Akkorde von Pianist Alex Zethson und Vibrafonist Mattias Ståhl.
Vilhelm Bromander – Kontrabass
Katt Hernandez – Violine
Martin Küchen – Alt- und Sopraninosaxofon
Elin Forkelid – Tenorsaxofon
Alberto Pinton – Baritonsaxofon
Christer Bothén – Bassklarinette
Emil Strandberg – Trompete
Mats Äleklint – Posaune
Alex Zethson – Klavier
Mattias Ståhl – Vibrafon
Dennis Egberth – Schlagzeug
Anton Jonsson – Schlagzeug
Marianne Svašek – Gesang
18:40
Der Posaunist, Komponist und Historiker George Lewis, ein regelmäßiger Gast beim Jazzfest Berlin, spricht über die Bedeutung des Festivals für die Jazzgeschichte und zeigt mit scharfsinnigem Blick Zusammenhänge auf, die in der Vergangenheit oftmals übersehen wurden.
19:30
(US)
Die Pianistin Marilyn Crispell ist eine der vielseitigsten, feinfühligsten und zugleich fantasievollsten Improvisationsmusiker*innen des Jazz und hat seit dem Beginn ihrer Karriere in den späten 1970er-Jahren den Spagat zwischen wilder Improvisation und Post-Coltrane perfektioniert. Sowohl als Solokünstlerin als auch in fruchtbaren Kollaborationen mit Anthony Braxton, Paul Motian oder Reggie Workman passt sie sich verschiedensten Kontexten an, ohne dabei etwas von ihrer rhapsodischen Sensibilität aufzugeben.
Als Teil von Joe Lovanos Trio Tapestry, das am Festivalfreitag zu erleben ist, hat Crispells Fähigkeit, Post-Bop-Basics zu durchbrechen, eine neue Generation von Zuhörer*innen erreicht. Mit einem ihrer seltenen Solo-Sets an diesem Abend beweist sie, dass sich ihre Musik in jede denkbare Richtung entwickeln kann – von sanfter Lyrik und in allen Farben schillernder Harmonik bis hin zu wilder motivischer Arbeit und fieberhaften Episoden aus halsbrecherischen Clustern und ungebremstem Vorwärtsdrang.
Marilyn Crispell – Klavier
21:00
(GB, IE, US)
Auch wenige Tage vor seinem 85. Geburtstag bleibt Joe McPhee so sehr wie kaum ein anderer im Jazz immer auf der Suche. Nachdem schon sein bahnbrechendes Frühwerk – etwa der schräge, revolutionäre Free-Jazz-Funk von „Nation Time“ – oder später die atemberaubend schönen Solo-Exkursionen auf „Tenor“ keinen Zweifel an seinem Talent gelassen haben, ist McPhees Musik über die Jahre immer stärker und unverzichtbarer geworden. Obgleich er nie aufgehört hatte aufzutreten, erlebte er Mitte der 1990er-Jahre eine begeisterte Wiederentdeckung, als eine neue Generation von Improvisator*innen seine unerschöpfliche Energie und Innovation feierte. Diese führte zu langjährigen Kollaborationen mit Musikern wie Mats Gustafsson, Ken Vandermark, Hamid Drake und Peter Brötzmann, in dessen legendärem Chicago Tentet McPhee eine zentrale Figur wurde.
Zu McPhees wichtigsten musikalischen Partner*innen des letzten Vierteljahrhunderts zählt das Trio Decoy, bestehend aus Schlagzeuger Steve Noble, Bassist John Edwards und Pianist Alexander Hawkins, der eher auf den beseelten, körnigen Klang seiner Hammond B3 Orgel als auf das herkömmliche Klavier setzt. McPhee – einer der wenigen Musiker, die sowohl Trompete als auch Saxofon beherrschen – surft mit traumwandlerischer Sicherheit auf den federnden Grooves, den Free-Jazz-Einschüben und den sanften Balladen des Trios. Dabei schöpft er aus den Tiefen der Musikgeschichte und stützt jede seiner Phrasen auf Menschlichkeit, Bescheidenheit und nicht zuletzt Spielwitz.
Joe McPhee – Taschentrompete, Saxofon
Alexander Hawkins – Hammondorgel
John Edwards – Kontrabass
Steve Noble – Schlagzeug