Konzert

McHenry / Cyrille // Red Desert Orchestra // Bauer / Parker / Drake // Moreno

Andrew Cyrille, Bill McHenry, Eve Risser’s Red Desert Orchestra, Joyce Moreno, William Parker, Conny Bauer, Hamid Drake

Andrew Cyrille, Bill McHenry // Eve Risser’s Red Desert Orchestra // Joyce Moreno // William Parker, Conny Bauer, Hamid Drake © Jack Vartoogian, Marc Chesneau, Leo Aversa, Cristina Marx Photomusix

Der Konzertabend im Festspielhaus beginnt mit der Europapremiere des Duos von Schlagzeuger Andrew Cyrille und Saxofonist Bill McHenry. Die französische Pianistin Eve Risser widmet sich im Anschluss mit ihrem Red Desert Orchestra den Rhythmen und musikalischen Texturen Westafrikas. Der Posaunist und diesjährige Albert-Mangelsdorff-Preisträger Conny Bauer lässt im Trio mit Hamid Drake und William Parker alte Verbindungen zwischen der US-Amerikanischen und Deutsch-Deutschen Free Jazz Avantgarde aufleben. Und zum krönenden Abschluss des Konzertprogramms auf der großen Bühne bietet die brasilianische Sängerin Joyce Moreno einen musikalischen Querschnitt ihrer langjährigen Karriere.

17:00 / Europapremiere

McHenry / Cyrille: „Proximity“

(US)

Nur wenige lebende Jazzmusiker*innen haben sich derart tief in die Musikgeschichte eingeschrieben wie Andrew Cyrille, der fünf Tage nach seinem Auftritt beim Jazzfest Berlin seinen 84. Geburtstag feiern wird. Bekannt für seine prägende Rolle in der Entwicklung des Free Jazz, u. a. als einer von Cecil Taylors visionärsten Perkussionisten, trägt Cyrille in gewisser Weise die gesamte Geschichte des Jazz in sich: Als Teenager verbrachte er viel Zeit mit Leuten wie Philly Joe Jones und Max Roach, spielte aber auch Gigs entlang der ganzen kulturellen Bandbreite an musikalischen Traditionen, die ihm in seiner Heimatstadt New York begegnete. Als späterer Dreh- und Angelpunkt der Avantgarde-Szene trug Cyrille wesentlich dazu bei, den Weg für freie Perkussionsgruppen zu ebnen, wie beispielswiese im Duo mit Milford Graves. Wenngleich er in den 1970er-Jahren vermehrt eigene Bands leitete, kollaborierte er auch weiterhin mit verschiedenen Musiker*innen, darunter Muhal Richard Abrams, John Carter, Walt Dickerson, Peter Kowald und David Murray. Cyrilles Spiel zeichnet sich durch eine erstaunliche Klarheit von beinah erzählerischer Qualität aus. Sein Instrument setzt er als Melodiestimme ein und tritt mit seinen Mitspieler*innen in eine Form von Interaktion, die auf mehr als nur Rhythmik basiert. Und auch das Alter bremst ihn in keiner Weise: Durch eine Reihe von Alben für das Plattenlabel ECM Records, mit Musiker*innen wie Bill Frisell und David Virelles, erfuhr Cyrille in den letzten Jahren eine regelrechte Renaissance.

Bei einem seiner seltenen Auftritte in Berlin kann man nun das Europadebüt der Zusammenarbeit mit dem Tenorsaxofonisten Bill McHenry erleben. Der in Barcelona lebende US-Amerikaner gilt als einer der agilsten Spieler des Post-Bop und verbindet bei seinen Improvisationen einen satten Ton mit einem tiefgründigen Blues-Vibe. Im Jahr 2016 veröffentlichten die beiden das Album „Proximity“, eine grandiose Serie von zumeist spontan entstandenen Dialogen, mit besonderem Sinn für Proportion, Eleganz und Interaktion. Beim diesjährigen Jazzfest Berlin schreiben sie ein weiteres Kapitel ihrer fruchtbaren Zusammenarbeit.

 

Line-up

Bill McHenrySaxofon
Andrew CyrilleSchlagzeug

 

Jazzfest Berlin Story  „(Un-)Learning Jazz“

Das diesjährige Online-Magazin „Story“ zum Thema „(Un-)Learning Jazz“ bietet interessante Einblicke in das Leben und Werk von Andrew Cyrille und fragt nach den Bedingungen einer Jazz-Ausbildung. Welche Kritik am akademischen System ist berechtigt und wie findet man seinen eigenen Weg im weit verzweigten Jazz-Biotop? Die „Story“ wirft u. a. Schlaglichter auf das Schaffen von Andrew Cyrille.

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18:30

Eve Risser Red Desert Orchestra: „Eurythmia“

(FR, BF, DE, BE, PT)

2019 begeisterte die französische Pianistin Eve Risser das Publikum des Jazzfest Berlin im Rahmen einer Solo-Performance mit ihrem kreativen Spiel auf einem präparierten Klavier: Ein ganzes Arsenal von Alltagsgegenständen hatte sie in seinem Inneren untergebracht und damit die Klangfarbe der Saiten radikal verändert. Die Klaviatur wurde zum magischen Krachmacher, gebändigt durch akribisch konzipierte, rhythmisch kontrollierte experimentelle Arrangements. Doch Risser brennt auch fürs gemeinschaftliche Arbeiten. Im vergangenen Jahrzehnt leitete sie mehrere große Ensembles, die auf konventionellere Klänge setzten. Als solches kann man das Red Desert Orchestra, das nun erstmals nach Berlin kommt, jedoch kaum bezeichnen, denn Risser legt mit dem aktuellen Repertoire überraschende Verbindungen zwischen groove-getriebenem Jazz und den hypnotisierenden Kadenzen aus westafrikanischen Musiktraditionen frei. Die bisweilen rauen Schwingungen, die einige dieser Instrumente erzeugen, überlagern dabei zeitweise ihre Klavierklänge. Vergangenes Jahr veröffentlichte Risser mit dem Ensemble das Album „Eurythmia“, eine so atemberaubende wie geschmeidige Verbindung von mal sanften, mal rauen Bläsermelodien auf dem Fundament einer mitreißenden Polyrhythmik, die durch das Zusammenspiel von Djembés, Balafons und Bara-Trommeln entsteht und zugleich musikalisches Terrain für improvisatorische Streifzüge bietet. Zu den Bläsern gehören der Altsaxofonist Antonin-Tri Hoang, der das am Eröffnungsabend des Festivals auftretende Ensemble Novembre leitet, die Tenorsaxofonistin Sakina Adbou und der Berliner Posaunist Mathias Müller. In Zeiten von nicht-enden-wollender gesellschaftlicher Spaltung setzen sich  Risser und ihre Mitstreiter*innen über veraltete, klischeebehaftete Dichotomien wie „Europa vs. Afrika“ mit der gebührenden Selbstverständlichkeit hinweg, indem sie eine Musik erschaffen, die Tradition und neue Ansätze mit freudvoller Energie und Respekt verbindet.

 

Line-up

Eve RisserKomposition, Klavier
Antonin-Tri HoangAltsaxofon, analoger Synthesizer
Sakina AbdouTenorsaxofon
Grégoire TirtiauxBaritonsaxofon, Qarqabas
Susana Santos Silva – Trompete
Matthias MüllerPosaune
Tatiana ParisE-Gitarre
Ophélia HiéBalafon
Mélissa HiéBalafon, Djembé
David Merlo – E-Bass
Oumarou BambaraDjembé, Bara
Emmanuel ScarpaSchlagzeug


20:00 / Preisträgerkonzert Albert-Mangelsdorff-Preis für Conny Bauer

Bauer / Parker / Drake

(DE, US)

Der Posaunist Conrad Bauer ist eine der großen Persönlichkeiten der ostdeutschen Jazzszene. Schon in den frühen 1970er-Jahren machte er sich als Berufsmusiker und integraler Bestandteil verschiedener Bands wie dem Quintett Exis, dem Hans-Rempel-Oktett und allem voran als Mitglied des Ernst-Ludwig-Petrowsky-Quartetts einen Namen. Die gemeinsame Zusammenarbeit führten Bauer und Petrowsky, der leider im Juli 2023 verstarb, im furiosen Ensemble Synopsis mit Günter "Baby" Sommer am Schlagzeug und Ulrich Gumpert am Klavier fort und spielten später in dieser Konstellation, unter anderem im Wiedervereinigungsjahr 1990 beim Jazzfest Berlin, unter dem Namen Zentralquartett. Bereits in seiner Jugend trat Bauer als Sänger und Gitarrist in Tanzbands auf und stellte unter Beweis, dass er der geborene Entertainer war. Dabei bewies sein Spiel selbst in experimentellen Zusammenhängen melodische Qualitäten.

Wiedervereint zur Feier seines 80. Geburtstags, trifft Bauer auf eine der wohl spannungsvollsten und rhythmusstärksten Konstellationen in der improvisierten Musik der letzten Jahrzehnte: auf den Bassisten William Parker und den Schlagzeuger Hamid Drake. Das Trio hatte 2010 im berühmten New Yorker Venue Roulette Intermedium erstmals zusammengespielt und später den Mitschnitt unter dem Titel „Tender Exploration" veröffentlicht. Ihr gemeinsames Spiel setzt eine geradezu pulsierende Energie frei: Ein Mix aus soliden Grooves und rhythmischer Beseeltheit, der dem Posaunisten eine dynamische Szenerie voller Überraschungen für seine motivischen Streifzüge bietet, in denen das Wilde eine Verbindung mit dem Lyrischen eingeht.

 

Line-up

Conny BauerPosaune
William ParkerKontrabass
Hamid DrakeSchlagzeug


21:30

Joyce Moreno „Natureza“

(BR)

In ihrem Heimatland längst als Bossa-Jazz-Ikone gefeiert, erlangte die Brasilianerin Joyce Moreno mit ihrer Veröffentlichung „Natureza“ im vergangenen Jahr international große Aufmerksamkeit. Die bis dahin unveröffentlichte Session aus dem Jahr 1977 hatte sie seinerzeit mit einer Starbesetzung eingespielt, darunter Michael Brecker, Joe Farrell, Buster Williams und der Produzent Claus Ogerman. Das vielversprechende Album sollte ihre internationale Karriere einläuten. Doch kam es anders als erhofft: die Bänder gingen verloren und die Veröffentlichung scheiterte. Glücklicherweise hatte die Sängerin eine unabgemischte Kassette mit den Aufnahmen aufbewahrt, sodass das Album nun doch noch das Licht der Welt erblickt und das Interesse an Morenos bemerkenswertem Talent auch im Ausland neu entfacht hat. Moreno, die niemals aufgehört hat Musik zu machen, gehört in Brasilien seit mehreren Jahrzehnten zu den etabliertesten Musiker*innen des Landes. Dass auch ihre Stimme an geschmeidiger Agilität nicht eingebüßt hat, beweist ihr Album „Brasileiras Canções“ aus dem vergangenen Jahr. Gewandt und flink bewegt sie sich darauf durch ein Dickicht von Harmonien und ausgefeilten Rhythmen.

Obwohl Moreno in ihrem Frühwerk mit folkloristischen Arrangements experimentierte und eine dezidiert feministische Perspektive gegen den brasilianischen Paternalismus einnahm, konzentrierte sie sich in den späten 1970ern zunehmend auf einen jazzbetonten Bossa-Sound, für den sie bis heute steht. Zu ihrer Tourband gehören ihr Ehemann und langjähriger Schlagzeuger Tutty Moreno, der Pianist Helio Alves, der Bassist Rodolfo Stroeter und der Perkussionist Tom Andrade – allesamt erfahrene Ausnahmemusiker*innen, die mit beiden Traditionslinien, aus denen Joyces’ Musik sich speist, bestens umzugehen wissen.

 

Line-up

Joyce MorenoGesang, Gitarre
Tutty MorenoSchlagzeug
Rodolfo StroeterKontrabass
Helio AlvesKlavier
Tom AndradePerkussion