Theater

4 WËNDE

Jugendclub Die Aktionist*innen vom Maxim Gorki Theater, Berlin

4 WËNDE

4 WËNDE © Ute Langkafel MAIFOTO

Die Aktionist*innen nehmen ihre eigenen vier Wände physisch-forschend unter die Lupe, zerlegen sie, nehmen sie als Raum für sinnliches Begreifen und konkretes Handeln.

In ihrer Tanzperformance verwandelt sich der Gorki-Container wie ein mobiles Haus in verschiedene Spaces, um Gedankenräume zu errichten und Wände einzureißen. Wo landen wir, wenn wir die „comfort zones“ verlassen, wenn wir Begrenzungen platt machen? Was und für wen ist ein „safe space“? „4 WËNDE“ ist ein körperliches Untersuchungslabor und ein Moment der Vergewisserung, um dann ganz klar zu haben: Wofür würdest du auf die Straße gehen?

Die Aktionist*innen haben sich als Gruppe tanzbegeisterter junger Menschen bereits Ende 2019 zum Thema „Positive Brainwash – Good News“ zusammengefunden. Dann gab es mit der Pandemie einen harten „Cut“ und inhaltlich drängte es uns, Bezug zu nehmen auf unser gegenwärtiges Erleben – die Vereinzelung, das Zurückgeworfen-Sein auf uns selbst.
Sinnbildlich für das Begrenzt-Sein entstand die Idee, für die weitere künstlerische Arbeit in Auseinandersetzung mit den eigenen vier Wänden zu gehen.

Die Proben für unsere Performance fielen zu gleichen Teilen vor und in die Pandemie. Der Unterschied der zwei Probenphasen war mit allen Sinnen spürbar. Lernten wir uns vor allem durch körpernahe Improvisationen kennen, war all das in der „neuen Welt“ nicht mehr denkbar.
Unsere Körper waren es gewohnt, miteinander zu toben, zu kuscheln und zu tanzen. Jetzt waren wir alle verunsichert, als hätte unsere Gruppe die Sprache verloren. Unser Thema wirkte fremd und fern in der neuen Situation. Und uns kribbelten die Gliedmaßen beim ständigen Diskutieren – wann fangen wir endlich wieder an zu tanzen? Als wir unsere Erfahrungen in den eigenen 4 Wänden während des Lockdown zum neuen Startpunkt unseres Projekts erkoren hatten, machte es klick. Wir gewöhnten uns an unsere Zellen, die wir mit Kreppband auf den Theaterboden klebten, um uns an die Sicherheitsabstände zu erinnern. Wir gewöhnten uns so sehr daran, dass wir uns am Ende kein anderes Bühnenbild mehr vorstellen konnten. Wir gewöhnten uns daran, uns auf neue Arten beieinander zu fühlen.

Mit
Adamou Bance, Amadeus, Julia Jana Gudi, Luise Hipp, Mathilda Blue Miller, Niclas O’Donnokoé, Rozhina Rastgoo, Sefâ Agnew

Modjgan HashemianLeitung
Jeeyoung ShinAusstattung
Astrid PetzoldtGorki X
Lucia LeyserProduktion

Modjgan Hashemian ist eine Berliner Choreografin. Sie bewegt sich an Orten, wo zeitgenössischer Tanz, Körper und Körperlichkeit offiziell verblasst scheinen – wie im Iran oder Irak. Verschiedene Themenkomplexe gehen organisch ineinander über und finden sich in allen ihren Performances in den jeweiligen sozialen, politischen und künstlerischen Kontexten wieder. Ihre Tanzstücke verweben verschiedene Kunstgenres mit dokumentarischen, teils biografischen Fragmenten. Formate hinter der Bühne –wie Workshops, Vorträge und soziales Engagement – sind dabei inspirative Quellen und immer auch projektbezogene Recherche. Die „needs“ von nicht sichtbaren Künstler*innen sind in ihrer Arbeit essentiell, genauso wie das Vernetzen von Tanzjunkies.

Zur Auswahl für die Jury Antigone Akgün

2020 – ein Jahr der Vereinzelung im eigenen Zuhause und zugleich der Politisierung im öffentlichen Raum. Wie lässt sich eine solche Zeit des Rückzugs in Bewegungen übersetzen, ohne sich dabei in Wiederholungen zu erschöpfen? Dieser Frage setzt das Ensemble „Die Aktionist*innen“ mit ihrer Tanzperformance „4 WËNDE“ ein starkes Statement entgegen. Auf beeindruckende Art und Weise gelingt es ihnen nämlich, die begrenzenden vier Wände unseres pandemischen Zeitalters in mannigfaltige körperliche Zustände zu übersetzen. Dabei geben sie sowohl viel von ihren persönlichen Lebenswelten wie auch von sich als politischen Individuen unserer Gesellschaft preis und zeigen auf, wie räumliche Einschränkung die Entfesselung des eigenen Willens und Körpers nicht mindern kann. Die Inszenierung besticht nicht nur auf ästhetischer Ebene – gerade inhaltlich eröffnen die Performer*innen zahlreiche Gedankenräume, stellen Fragen nach dem Wesen von „safe spaces“ und nach Überwindungsmöglichkeiten der eigenen Komfortzone. „4 WËNDE“ ist folglich für mich eine hoch politische Auseinandersetzung mit der Gegenwart, die es zugleich vermag, sich souverän vieler künstlerischer Expertisen und Ästhetiken zu bedienen und deswegen freue ich mich sehr, diese Geist-Körper-Collage auf dem diesjährigen Theatertreffen der Jugend sehen zu dürfen!