Ausstellung

Richard Avedon

Fotografien 1946–2004. Eine Retrospektive

Plakat zur Ausstellung „Richard Avedon“

Plakat zur Ausstellung „Richard Avedon“ Gestaltung: Steenbrink Vormgeving, Berlin

Mehr als 50 Jahre lang war Richard Avedon einer der bedeutendsten Fotografen in der Modeindustrie. Er hatte einen Starstatus, den er über viele Jahre hinweg bewahren konnte. Er machte sich bereits Anfang der 1950er Jahre einen Namen als führender Modefotograf der Welt und arbeitete zunächst bei der amerikanischen Modezeitschrift „Harper’s Bazaar“ und später bei der „Vogue“, bis er 1992 der erste Hausfotograf der Wochenzeitschrift „The New Yorker“ wurde.

Avedon revolutionierte zusammen mit dem Fotografen Irving Penn die Porträtfotografie des 20. Jahrhunderts, indem er dunkle, emotional aufgeladene Porträts schuf, darunter eine große Folge von Porträtaufnahmen von Staatsmännern, Künstlern, Schauspielern und Schauspielerinnen: Katherine Hepburn, Audrey Hepburn, Humphrey Bogart, Brigitte Bardot, Marilyn Monroe, Buster Keaton, Charlie Chaplin, Karen Blixen, Truman Capote, Henry Kissinger, Dwight D. Eisenhower, Edward Kennedy, die Beatles und Francis Bacon.

Die Ausstellung

Die Ausstellung „Richard Avedon: Fotografien 1946-2004“ ist die erste Retrospektive des amerikanischen Starfotografen in Deutschland. Zu sehen sind zahlreiche seiner epochalen Aufnahmen: das Bild des berühmten Models Dovima zwischen Elefanten auf Sägemehl und Heu (1948), das 10 x 3 m große und berühmte Gruppenporträt „Andy Warhol and Members of the Factory“ (1969), das Foto von Charlie Chaplin, der als Abschiedsgeste für die USA der McCarthy-Ära die Hände zu Teufelshörnern geformt an die Stirn legt. Für den Ausstellungsort Berlin, 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, ist Avedons Serie „Brandenburg Gate“ über die Silvesternacht 1989 besonders interessant. Avedon war damals nach Berlin gekommen, um dieses außergewöhnliche historische Ereignis und die Reaktion der Menschen zu fotografieren.

Die Retrospektive zeigt über 250 Fotografien. Die erste in der Ausstellung gezeigte Aufnahme stammt von 1946, als Avedon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nach Rom und Sizilien reiste; die letzte Aufnahme zeigt die Sängerin Björk, aufgenommen knapp vier Monate vor Avedons plötzlichem Tod im Jahre 2004.

Die Fotografien werden in der Ausstellung chronologisch präsentiert. Gezeigt werden auch Aufnahmen einer Reportageserie „Leben in New York“ von 1949. Sie entstanden im Auftrag der Zeitschrift „Life“. Avedon lieferte sie damals jedoch nicht ab und zeigte eine erste Auswahl erst vierzig Jahre später in seinem Buch „An Autobiography“. Die Serie verweist auf andere Reportagen, die in der Ausstellung gezeigt werden, sowie Porträtserien, für die Avedon später berühmt wurde: „In the American West“, Fotos aus 17 Staaten des amerikanischen Westens aus den Jahren 1979-84, eine Arbeit im Auftrag des Amon Carter Museum in Fort Worth, Texas. 1991 erhielt Richard Avedon den schwedischen Hasselblad-Preis für Fotografie.

Thomas Friedrich über Richard Avedon

„Nur Stilleben, Bilder ohne Menschen, kann ich nicht.“ (R. Avedon, 1994)

Als Richard Avedon am 1. Oktober 2004 starb, endete damit – ungewöhnlich auch für langgediente Fotografen – ein Berufsleben, das nicht weniger als 60 Jahre gedauert hatte. Bereits während seiner Militärzeit bei der US-Handelsmarine 1942–44 nämlich produzierte der 1923 in New York City geborene Avedon Abertausende von Fotos: Porträts für Dienstausweise der Marineangehörigen, aufgenommen vor einem stets gleichbleibenden neutralem Hintergrund. Angeblich hat er aus diesen routinemäßig entstandenen Ausweisfotos die für ihn typische Methode der Porträtfotografie entwickelt: den weißen Hintergrund als Folie eindringlicher, von manchen als „unbarmherzig“ empfundener physiognomischer Studien. Als das Magazin „The New Yorker“ kurz nach Avedons Tod seine letzte Werkserie publizierte, das unvollendet gebliebene Portfolio „Democracy 2004“, trugen die Porträts dieser Serie tatsächlich genau jenes von Avedon bereits vor Jahrzehnten angewandte und über mehr als ein halbes Jahrhundert beibehaltene Markenzeichen: Avedon hatte von Aufnahmen unbekannter US-Bürger bis zum letzten Bild der Werkreihe, das Barack Obama, den Senator von Illinois darstellte, alle Porträtierten – rund ein Drittel jetzt allerdings in Farbe – vor einem weißen Hintergrund, von einem schwarzen Rahmen umgeben, fotografiert.

Dabei ist das Lebenswerk Avedons ganz und gar nicht schematisch angelegt, sondern so stark von der Lust am Experiment und der Suche nach neuen fotografischen Ausdrucksformen geprägt, dass es wie kaum ein anderes die Fotografie des 20. Jahrhunderts zu beeinflussen vermochte. Es war ein Glücksfall, dass Avedon seine Ausbildung am legendären „Design Laboratory“ von Alexey Brodovitch begann, seit 1934 Art Director der ebenso legendären Modezeitschrift „Harper’s Bazaar“. Brodovitch hatte das Layout der Zeitschrift (und das gesamte graphische Design der USA seit Mitte der 1930er Jahre) mit eigenen Arbeiten und unter Beihilfe von ihm eingestellter „modernistischer“, aus Europa stammender Fotografen revolutioniert: darunter waren Man Ray, George Hoyningen-Huene, Erwin Blumenfeld und, für den jungen Avedon besonders wichtig: Martin Munkacsi, der als erster (im Wortsinne) Bewegung in die Modefotografie gebracht hatte. Brodovitch erkannte Avedons Talent und brachte den erst 22 Jahre alten Berufsanfänger bei „Harper’s Bazaar“ unter. Bereits zwei Jahre später erhielt Avedon zum ersten Mal den Auftrag, die Kollektionen der Pariser Modeschöpfer aufzunehmen. So wurde Richard Avedon „Modefotograf“, neben seinem Freund und lebenslangen Konkurrenten Irving Penn vielleicht zum bedeutendsten seiner Zunft.

Avedon blieb zwei Jahrzehnte lang bei „Harper’s Bazaar“. Zahl und Qualität seiner Titelfotos sind Legende. Weltweit wohl am bekanntesten wurde seine Aufnahme des Models Dovima vom August 1955, in der sie im Pariser Cirque d’Hiver zwischen zwei angeketteten Elefanten posiert. Die Art und Weise, wie Avedon die Models vor der Kamera in Bewegung setzte, ja zum Tanzen brachte, wurde zu einem weiteren Charakteristikum seiner Arbeit.

Bereits Munkacsi hatte bei seinen Modeaufnahmen das Studio verlassen und hatte die „Mannequins“, wie sie damals genannt wurden, in alltäglicher Umgebung fotografiert. Avedon ging einen Schritt weiter: er wurde als Fotograf modisch gekleideter Frauen gewissermaßen zum Regisseur, die Models zu Schauspielerinnen. (Avedon: „Ich mag Modephotos, die nicht wie Modephotos aussehen.“ Und: „Ein Portrait ist eine Performance. Sobald jemand vor der Kamera steht, spielt er der Kamera etwas vor.“) Der filmische Charakter vieler seiner Aufnahmen war durchaus beabsichtigt: nach seiner eigenen Aussage wurde er insbesondere durch die Filme von Ernst Lubitsch inspiriert.

Parallel zur Modefotografie, die ihn berühmt machte, hatte Avedon aber seit Mitte der 1940er Jahre sowohl als journalistischen Auftrag als auch auf Reisen nach Europa kontinuierlich ein fotografisches Genre weiter betrieben, das man in den USA als „street photography“ bezeichnete. Besonders interessant sind seine 1949 im Auftrag von LIFE entstandenen, von der Zeitschrift aber nie veröffentlichten Aufnahmen aus dem New Yorker Alltagsleben. Seine Porträts von Prominenten, mal mit, mal ohne Zusammenhang seiner Arbeit für „Harper’s Bazaar“ entstanden, prägen darüber hinaus unser Bild der Nachkriegsära. Als Beispiele seien hier nur genannt: Charlie Chaplin beim Verlassen der USA (1952), Buster Keaton (1952), Anna Magnani (1953), Louis Armstrong (1955), Marilyn Monroe (1957), Ezra Pound (1958), Dorothy Parker (1958).

Eine Art erster Zwischenbilanz ziehen zwei Bücher, die Avedons Porträtkunst nicht lediglich würdigten, sondern durch ihre Aufsehen erregende Gestaltung zu Klassikern des modernen Fotobuchs avancierten. 1959 erschien „Observations“, gedruckt in der Schweiz und mit einem Text von Truman Capote versehen. Alexey Brodovitch, der das Buch gestaltete, konnte hier seine Meisterschaft in der Präsentation von Avedon-Fotos als durchkomponierte Folge von Doppelseiten unter Beweis stellen. 1964 folgte „Nothing Personal“ (dt. „Im Hinblick“), gestaltet von Marvin Israel, zu dem Avedons Schulkamerad James Baldwin einen Text beisteuerte. In „Nothing Personal“ versammelte Avedon eine Reihe der Fotos, die er Anfang der 1960er Jahre bei Reisen in die Südstaaten der USA gemacht hatte. Stärker als je zuvor kam bei diesen Aufnahmen von Bürgerrechtlern und ihrem Kampf gegen Rassendiskriminierung, aber auch ihren rassistischen Widersachern, Avedons politisches Engagement für das „andere Amerika“ zum Ausdruck; ein Engagement, das er bis zu seinem Tode fortsetzte und das auch in dem erwähnten Portfolio „Democracy 2004“ über den Präsidentschafts-Wahlkampf in den USA seinen Niederschlag fand.

Schon 1963 hatte Avedon in einer Reportage über eine Nervenheilanstalt in Jackson (Louisiana) unter Beweis gestellt, dass er durchaus kein bloßer „Prominentenfotograf“ sein wollte. Auch veranlasst durch Erfahrungen in der eigenen Familie habe er versucht, „nicht die Schrecken der Psychiatrie zu zeigen, sondern wie wir uns mit diesen Menschen identifizieren könnten, dass sie uns nicht fremd erscheinen.“ Acht Jahre später fotografierte er Opfer von Napalm-Angriffen der US-Luftwaffe in Vietnam, die er jedoch vorerst nicht veröffentlichen mochte.

1972 wurde er gar bei einer Antikriegsdemonstration vor dem Kapitol in Washington festgenommen und wegen „zivilen Ungehorsams“ in Haft genommen. Waren schon seine Psychiatrie-Fotos sehr kontrovers aufgenommen worden, so wurde seine 1985 als Buch veröffentlichte Serie „In the American West“ nicht nur von Journalisten der Provinzpresse mit offener Feindseligkeit aufgenommen. Die Fotos seien krank, zynisch, ein Zeichen kulturellen Verfalls, lauteten einige der Vorwürfe. Tatsächlich entsprachen Avedons Porträts von Bergleuten, Landarbeitern, Migranten, kleinen Angestellten und Arbeitslosen nicht dem gängigen Schönheitsideal der Hochglanz-Zeitschriften und waren erst recht keine US-spezifische Variante von Agrarromantik. In ihrer trotz allem würdevollen Behandlung der Dargestellten und ihrer atmosphärischen Dichte waren sie hingegen ein Höhepunkt in der künstlerischen Porträtfotografie des 20. Jahrhunderts, jedes einzelne ein Meisterwerk.

Avedon blieb Zeit seines Lebens ein Zeitschriftenfotograf. Als er 1966 von „Harper’s Bazaar“ zur „Vogue“ wechselte, ließ seine Kreativität keineswegs nach. Die 1999 in dem Band „The Sixties“ versammelten Aufnahmen zeugen davon ebenso wie seine fotografische „Autobiography“ (1993). Ob Twiggy oder Veruschka, Bob Dylan oder John Lennon, Francis Bacon oder Samuel Beckett – Avedons Aufnahmen sind unverzichtbarer Bestandteil der Porträtgalerie des 20. Jahrhunderts. (Dazu gehört auch sein für das französische Magazin „Egoïste“ – für das er von 1985 bis 1992 exklusiv arbeitete – aufgenommenes Selbstbildnis.) Und in einem Alter, in dem andere längst im Ruhestand sind, nahm er noch einmal ein neues Wagnis auf sich: 1992 wurde er zum ersten Redaktionsfotografen („staff photographer“) des „New Yorker“-Magazins. Mehr als 300 seiner Aufnahmen publizierte die Zeitschrift bis zu Avedons Tod im Alter von 81 Jahren.

So viel steht fest: die Kraft und die magische Wirkung der Fotografien des Richard Avedon wird andauern. Zum Beispiel der geradezu verstörende Eindruck seiner Bildreportage von der Silvesternacht 1989/1990 am Brandenburger Tor. Um noch einmal Avedon selbst zu Wort kommen zu lassen: „Es ist schwer auszudrücken, es hat mit dieser rätselhaften Sache zu tun, die wir Photographie nennen. Wir haben dafür noch keine angemessene Sprache, nur die Terminologie der Kunst. Aber das ist nicht dasselbe.“

Die Avedon-Zitate stammen aus einem Interview, das der Fotograf Peter Sager gab; veröffentlicht im ZEITmagazin Nr. 39, 23. September 1994, S. 38–46.

Veranstalter: Berliner Festspiele. Eine Ausstellung des Louisiana Museum of Modern Art, Dänemark in Kooperation mit der Richard Avedon Foundation. Mit Unterstützung des Estate of Richard Avedon und des Center for Creative Photography, Tucson, AZ und der Fraenkel Gallery, San Francisco, CA
Medienpartner: rbb Inforadio, rbb Kulturradio, rbb Fernsehen

Im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie Berlin
www.mdf-berlin.de