Filmnacht 2 „Bauhaus“

Freitag 28. August 2009 | 18:00 bis 24:00

Ort: Martin-Gropius-Bau, Kinosaal

Eintritt frei

Einführung

Philipp Oswalt, Stiftung Bauhaus Dessau, Direktor

sowie Thomas Tode, Film-Kurator

Die Meinung, dass es keine „Bauhaus-Filme“ gibt, ist weit verbreitet und in der umfangreichen Bauhaus-Forschung finden sich kaum Studien zum Thema Film. Es wäre seltsam, wenn dieses Medium im Bauhaus so wenig Beachtung gefunden hätte, obwohl es in seiner Programmatik, vor allem bei László Moholy-Nagy, eine große Rolle spielt. Mehrfach hatte Moholy-Nagy versucht, die ihm zugesagte „Versuchsstelle für Filmkunst“ am Bauhaus einzurichten. Es gibt eine durchaus ansehnliche Filmpraxis von Lehrenden und Schülern des Bauhauses, wie diese zweite Bauhaus-Filmnacht im Martin-Gropius-Bau dokumentiert.

Anlässlich der Filmnacht ist die Ausstellung „Modell Bauhaus“

bis 24 Uhr geöffnet.

Im Rahmen der Ausstellung „Modell Bauhaus“

Programm

18:00 Begrüßung

Gereon Sievernich, Martin-Gropius-Bau, Direktor

Einführung

Philipp Oswalt, Stiftung Bauhaus Dessau, Direktor

18:15 Das Neue Bauen I – Effizienzfieber und Urbanistik

Einführung Thomas Tode, Film-Kurator

Man hat dem Bauhaus vorgeworfen, dass ihre „avantgardistischen“ Filme nicht den selbstgestellten Anspruch des Bauhauses erfüllten, Produkte für die Massenkultur herzustellen. Doch die filmischen Arbeiten des Bauhauses gruppieren sich in drei Schwerpunkte: dokumentarische Architekturfilme, sozialkritische Reportagen und abstrakte Filmexperimente. Nur für letztere kann man das Scheitern der Utopie vom „Künstler in der Industrie“ teilweise gelten lassen. Vor allem die sozialkritischen Dokumentarfilme von Ella Bergmann-Michel und Lászlò Moholy-Nagy, aber auch die Architekturfilme von Richard Paulick und Walter Gropius waren für eine Präsentation vor Massen gedacht und sollten in eine Massenkultur eingreifen.

Richard Paulick

Wie wohnen wir gesund und wirtschaftlich?

D 1926-28, 39 Min.

Den ursprünglich neunteiligen Film realisierte Richard Paulick, ein Architekt aus Walter Gropius Büro, unter Mitwirkung u.a. von Walter Gropius, Bruno Taut, Ernst May, Adolf Behne und Leberecht Migge. Als Demonstration des Neuen Bauens gedacht, präsentiert er die modernen Baumaterialien Stahl, Beton und Glas und die neuen Montageweisen Präfabrikation und Platten-bau. Unvergesslich sind die Außen- und Innenaufnahmen der neu erbauten Meisterhäuser in Dessau, in denen Gropius Frau Ilse u.a. modernste elektrische Geräte und Beleuchtungskörper vorführt. Weitere Themen sind die Vorteile der modernen, schritt sparenden Küche und der klappbaren Schrank-möbel, vorgeführt vom Hausmädchen. Bei Vorführungen konnten die neun Filmteile nach dem Baukastenprinzip stets neu kombiniert werden. Die drei hier gezeigten Teile heißen: Das neue Haus, 14 Min., Neues Wohnen (Haus Gropius), 11 Min. und Das Bauhaus Dessau und seine Bauweise, 14 Min.

Ella Bergmann-Michel und Robert Michel

Wo wohnen alte Leute?

D 1931, 13 Min.

und

Fliegende Händler

D 1932, 21 Min.

Ella Bergmann-Michel und ihr Mann Robert Michel studierten 1918 in Weimar an der Großherzoglich Sächsischen Hochschule für bildende Kunst und Kunstgewerbe, dem Vorläufer des Bauhauses. Walter Gropius stellt Gemälde der Michels auf Bauhaus-Empfängen aus, denn die Nähe ihrer Arbeiten zu den Kunstauffassungen des Bauhauses ließ sich nicht leugnen. Das Künstlerpaar siedelte 1920 nach Frankfurt a.M. um, wo Ella – neusachlich nur EBM genannt – neben der Malerei den Filmklub „und Das Neue Frankfurt“ leitete und Ende der 20er Jahre auch eigene Kurzfilme realisierte.

Die Thematiken ihrer Filme radikalisieren sich kontinuierlich und können wie ein Lackmuspapier der politischen Stimmung ihrer Zeit gelesen werden. Wo wohnen alte Leute? zeigt ein sozial engagiertes Seniorenwohnheim in modernster lichtdurchfluteter, funktionaler Architektur. Fliegende Händler begleitet solidarisch eine illegale Arbeitslosenselbsthilfe, eine Form des subversiven Widerstands: Als ambulante Händler verkaufen sie auf der Straße Fallobst, stets auf der Flucht vor der Obrigkeit. Die Kamera steigt nun in ein Karussell ein: Der Horizont verschwimmt, die gewohnte Ordnung löst sich auf, eine Ahnung von der Labilität der Zustände entsteht.

19:50 László Moholy-Nagys Kurzfilme — Experiment als Verfahren

Einführung Thomas Tode, Film-Kurator

Seit Anfang der 20er Jahre beschäftigt sich der Bauhausprofessor László Moholy-Nagy mit dem Medium Film, zunächst ohne eigene Praxis.

Mehrfach hatte er versucht, am Bauhaus die ihm zugesagte „Versuchsstelle für Filmkunst“ einzurichten. 1925 entsteht das Bauhaus-Buch „Malerei, Fotografie und Film“. Moholy-Nagy könnte als einer der frühen Crossover-Künstler gelten, wäre es nicht gerade das Bauhaus, das die Kunst in ihrer Ganzheit mit dem Leben zusammenbringen wollte und deshalb auch die Befruchtung der Kunstgattungen untereinander zum Prinzip erklärte.

Moholy-Nagy veranstaltete nicht nur Aufführungen für alle Sinne auf der Bauhausbühne, sondern eröffnete mit seinen Fotografien und Filmen auch neue Perspektiven zur Betrachtung der Architektur und der Stadt.

Alter Hafen in Marseille, D/F 1929/32, 9 Min., erkundet das Viertel rund um das alte Hafenbecken als Ort des sozialen Zusammenlebens: Kinder dösen in der Sommerhitze, Arbeiter schleppen Säcke die Treppen hinauf, ein Rinnsal ergießt sich hinab, zäh und als greller Lichtkegel. Die Kamera besteigt das Gerüst einer Schwebefähre aus Stahlgeflecht und eröffnet den Blick von oben auf die Realität, durch Stahlseile und -träger hindurch, auf das in abstrakte Muster aufgelöste Stadtleben.

In Ein Lichtspiel schwarz-weiß-grau D 1930/32, 5 Min. bewegen sich glitzernde, durchlochte Metallobjekte, z.T. mehrfach übereinander kopiert, in Licht und Schatten und schaffen ein Gedicht aus Licht. Über 100 Glühbirnen leuchten in einem vorher festgelegten Takt auf und projizieren Licht mit Hilfe einer perforierten Lochwand, Gittern, gedrechselten Stäben und Scheiben. Moholy-Nagy sprach auch vom »Malen mit Licht statt mit Pigment«, das er mit Hilfe des von ihm entworfenen „Licht-Raum-Modulators“ realisierte, einer kinetischen Skulptur, die er 1930 in Paris auch selbständig ausstellte.

Berliner Stillleben, D 1931/32, 9 Min. registriert schonungslos das Elend im Berliner Arbeitermilieu: Kamerafahrten entlang zerrütteter Mauern, ein Vogel im Käfig, eine alte Frau wird aus ihrer Wohnung geschmissen.

Großstadt Zigeuner, D 1932/33, 12 Min. nähert sich vorsichtig den Marginalisierten, an den Rand der Metropole Gedrängten. In der Wohnwagensiedlung spielen Kinder, Pferde werden gehandelt, während sie in der Stadt als Wahrsager und ambulante Händler arbeiten. Schließlich wird gemeinsam Musik gemacht, lebenslustig getanzt, ekstatisch gelebt.

Moholy-Nagys Homemovie Architect’s Congress, F/GB 1933, 28 Min. begleitet die Teilnehmer des 4. Kongress der CIAM (Congrès International d’Architecture Moderne) auf dem Schiff Patris II von Marseille nach Athen und zurück. Dieser Kongress „Die funktionale Stadt“ sollte ursprünglich in Moskau stattfinden und wurde aufgrund der politischen Lage auf ein transnationales, das Meer durchquerendes Schiff verlegt, das in Athen Station machte. Dort beschlossen die Teilnehmer die „Feststellungen und Richtlinien der Funktionellen Stadt“. Daraus machte Le Corbusier später die mit eigenen Kommentaren versehene „Charta von Athen“, die den Städtebau stark beeinflusste. The New Architecture and the London Zoo, GB 1936/38, 16 Min. zeigt die radikal moderne Architektur der Zoobauten der von Berthold Lubetkin geleiteten Gruppe TECTON. Die raumplastische Qualität der Flach-dachbauten, in denen z.B. Giraffen leben, nutzt Moholy-Nagy, um deren Wirkung als natürliche Lichtmodulatoren zu zeigen.

21:30 Pause

22:00 Bauhaus-Körper – nachprüfbare geometrische Formen

Einführung Thomas Tode, Film-Kurator

Mensch und Kunstfigur: Oskar Schlemmer und die Bauhausbühne

D 1969, 27 Min (Rekonstruktion von Margarete Hasting)

Der Tanz spielte am Bauhaus eine wichtige Rolle, dokumentierte er doch die Bemühung, die Einheit von Tanz, Kostüm und Musik in dieser Gattung zu realisieren. Statt irdischer Leidenschaft, wie sie im klassischen Ballett wie auch im Ausdruckstanz begegnete, sollte die Tanzkunst am Bauhaus anschaulich machen, was in Maß und Zahl beschlossen liegt, getreu dem Motto: „Eine Form muss mit dem Zirkel nachprüfbar sein.“ Margarete Hastings rekonstruiert in Mensch und Kunstfigur: Oskar Schlemmer und die Bauhausbühne folgende Tänze Schlemmers: Metalltanz, Raumtanz, Formentanz, Gestentanz, Stäbetanz, Reifentanz, Kulissentanz, Baukastenspiel und Maskenchor.

Werner Graeff

Komposition 1/1922, D. 1922/77, 2. Min. und

Komposition II/1922, D 1922/59, 3 Min.

Der Schüler des Bauhausprofessors Theo van Doesburg schuf 1922 Partituren zu zwei abstrakten Filmen, die er damals aus Zeit- und Kostengründen nicht realisieren konnte. Die mit farbigen Quadraten arbeitende Komposition I/1922, und die schwarz-weiße Komposition II/1922. Beide arbeiten mit überschaubar wenigen bewegten Elementen. Diese Reduktion ist typisch für Graeffs Filmarbeiten. 1958/59 konnte Graeff den schwarz-weißen Entwurf mit seinen Studenten an der Essener Folkwang-Werkkunstschule an einem selbst gebastelten Tricktisch ausführen, den Farbfilm erst 1977.

Ludwig Hirschfeld-Mack:

Reflektorische Lichtspiele

D 1923/2000, 14 Min.

Es handelt es sich ursprünglich nicht um einen Film, sondern um eine Lichtprojektion. Farbiges Licht wird durch eine Apparatur und mit Hilfe von sich bewegenden Schablonen auf eine Leinwand geworfen, um ein abstraktes, bewegliches Formeninventar entstehen zu lassen. Nach den erhaltenen Partituren haben Corinne Schweizer und Peter Böhm im Jahr 2000 die Reflektorischen Lichtspiele rekonstruiert, von denen Sonatine II (Rot) und S-Tanz (Sowjet-Tanz) gezeigt werden.

Kurt Kranz:

Schwarz: Weiß / Weiß: Schwarz, D 1929-30 / 1972, 2 Min. und

Der heroische Pfeil, D 1929-30 / 1972, 5 Min.

Kranz studierte am Bauhaus von 1930-33 bei Paul Klee, Wassily Kandinsky, Joost Schmidt (Reklame) und Walter Peterhans (Werbe-Fotografie). Er entwickelte filmische Entwürfe mit abstrakten Motiven, die er 1972, nach seiner Pensionierung als Kunstprofessor in Hamburg mit Hilfe von Robert Darroll realisiert. In Schwarz: Weiß / Weiß: Schwarz schieben sich weiße Kreise senkrecht in ein schwarzes Feld, rufen mit ihren Bahnen verschieden breite Stäbe hervor, bis völlig überraschend schwarze und weiße Keile auftauchen und die Vertikalanordnung verwirren.

Der heroische Pfeil mit dem Pfeil als Helden hat anekdotischen Charakter und handelt vom Überwinden, Sichdurchsetzen gegen alle Arten von Widerständen. Hat der Held ein Feld von Pfeilangeln passiert, wird er von einem scharfen Widersacher halbiert. Übermäßige Verkleinerung und Vergrößerung führen zur bleibenden Linie, der Seele des Pfeils, die schließlich in eine Kreisform mündet, dem Symbol des Endlosen.

Heinrich Brocksieper:

Flächen, perpelleristisch, D 1927-30, 2 Min.,

Ente, D 1927-30, 2 Min. und Näherin, D 1927-30, 2 Min

Brocksieper studierte ab 1919 am neugegründeten Bauhaus in Weimar, besuchte u.a. den Vorkurs bei Johannes Itten. Ab 1927 beschäftigte er sich verstärkt mit Fotografie und realisierte auch einige experimentelle Filme, die er selbst entwickelte. Flächen, perpelleristisch. zeigt zwei trapezförmige, sich rasant drehende Flächen auf schwarzem Grund, die auf der Netzhaut den Nachbild-Effekt produzieren. Einem Freund schrieb er dazu: „Nimm z.B. ein Viereck und betrachte den (Mittel-)Punkt als Achse. Du kannst ja eine Stecknadel hineinstecken, und drehst das Viereck, so wirst Du ein ruhiges ausgeglichenes Bild haben. Nimmst Du dasselbe und legst den Punkt bzw. die Achse mehr an den Rand und machst dann die Drehung, so wist Du ein ganz anderes Bild bemerken. Kühner, gewagter. Änderst Du aber während der Drehung die Achse, so erhältst Du das Bild des Unbeständigen, Lustigen, Vagabundierenden.“

In der nur fragmentarisch erhaltenen Animation Ente gibt eine aufbrechende weiße Fläche den Blick auf eine gezeichnete Flasche frei, die sich zur Ente wandelt. In Näherin bewegen sich eine weiße Schere, Knöpfe, Sicherheits-nadeln und Fäden auf schwarzem Grund, tragen Kämpfe aus, zerfallen und bilden sich neu.

Kurt Schwerdtfeger und Rudolf Jüdes

Reflektorische Farblichtspiele, 1922/67, Ausschnitt von 17 Min.

Kurt Schwerdtfeger initiierte 1922 am Bauhaus ein Laternenfest mit Schattenspielen, das der Ursprung aller späteren Lichtspiele und -projektionen war. Im Unterschied zu Ludwig Hirschfeld-Macks Lichtprojektionen gab es bei Schwerdtfeger keine Apparatur, die von den Mitarbeitern arbeitsteilig bespielt wurde. Nach dem Krieg rekonstruierte der Künstler seine Partituren und inszenierte sie mit seinen Studenten an der Pädagogischen Hochschule Alfeld neu. Die Filmaufnahme für Reflektorische Farblichtspiele erfolgt kurz nach seinem Tod im Jahr 1966 und beinhaltet fünf Sätze: Vegetative Form, Bauhaus 1922, Streifen und Gitter, Rotes Quadrat und Hommage à Schlemmer.