Vaginal Davis, The White to be Angry, 1999, Filmstill
© Vaginal Davis, Courtesy: die Künstlerin und Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin
José Esteban Muñoz
[…] Drag-Superstar Vaginal Creme Davis – beziehungsweise Dr. Davis, wie sie zuweilen lieber genannt wird – verbindet in ihrem Werk mehrere Genres der Kulturproduktion und eignet sich auf terroristische Weise sowohl die Dominanzkultur als auch subkulturelle Bewegungen an. Ihr berüchtigtes Zine Fertile Latoya Jackson und ihre Auftritte bei Punk-Konzerten mit ihren Supremes-artigen Hintergrundsängerinnen, den Afro Sisters, machten sie in der Punk-Szene von Los Angeles zur Berühmtheit.
Fertile Latoya Jackson erschien zunächst als gedrucktes Zine über skandalträchtigen Promi-Tratsch. Das Zine erinnerte an Hollywood Babylon, die zweibändige alles ausplaudernde Geschichte von Kenneth Anger über die Filmindustrie und die Verkommenheit des Systems der Stars und Sternchen. Aus Davis’ handgetackertem Zine wurde schließlich ein Video-Magazin. Während das Zine sich weltweit in Subkulturkreisen zum bedeutenden Ereignis entwickelte, wurden Davis’ Performances in und rund um die Punk-Szene L.A.s – sowohl mit den Afro Sisters als auch solo – legendär. Dann übertrug sie ihre wahnsinnigen Auftritte ins Video-Format und spielte selbst in mehreren Produktionen mit […].
[Dieser Text] beschäftigt sich mit der Performance-Arbeit in The White to Be Angry, einer Live-Show und CD von Pedro, Muriel & Esther (PME), einer weiteren ihrer subkulturell bejubelten Bands. […]
Disidentifikation ist eine Form der taktischen Anerkennung. Sie wird von verschiedenen minorisierten Subjekten genutzt, um sich dem unterdrückenden und normierenden Diskurs der dominanten Ideologie zu widersetzen. Diese Entidentifizierung widersteht der ideologischen Anrufung, die dem Subjekt im staatlichen Dispositiv der Macht seine Rolle zuweist. Es handelt sich um eine Neuformatierung des Selbst innerhalb des Sozialen, ein drittes Konzept, das sich der binären Auswahl zwischen aneignender Identifikation und zurückweisender Abgrenzung widersetzt. Eine zurückweisende Gegenidentifizierung läuft derweil häufig Gefahr, durch die stark routinierten Funktionsweisen des Anprangerns des dominanten Diskurses ebendiesen zu verstärken. In einem Interview der Zeitschrift aRude liefert Davis eine der scharfsinnigsten Erklärungen jener Performance-Form, die ich als disidentifikatorisch bezeichne. Davis beantwortet die Frage „Wie bist du zum Namen Vaginal Davis gekommen?“ mit einer besonders einsichtsvollen Tirade:
„Er kommt von Angela Davis. Mein Name bezeugt ihr die Ehre, weil ich wirklich besessen war von der ganzen militanten Schwarzen Ära der späten 60er und frühen 70er Jahre. Wenn du aus der Innenstadt nach Hause gehst und Schwarz bist und eine Phase durchlebst, in der du versuchst, dich der Dominanzkultur anzupassen, dann willst du gewissermaßen erst einmal weiß sein – es wäre leichter, wenn du weiß wärst. Mit allem, was Schwarz ist oder als solches verunglimpft wird, willst du nicht in Verbindung gebracht werden. Das bezeichne ich als Schnee-Phase: Ich dachte damals, dass irgendein dahergelaufener weißer Boyfriend mein Leben perfekt machen würde und ich dadurch an Wert gewinnen würde. Ich könnte mich als Projektion durch irgendeine weiße Person empfinden und könnte all die Privilegien haben, die weiße Leute bekommen – also durch die Verbindung Aufwertung erfahren.“ [1]Tommy Gear and Mike Glass, „Supremely Vaginal“, aRude 1 (Herbst 1995): S. 42.
Die von Davis beschriebene „Schnee-Phase“ entspricht der Option der Assimilierung, für die sich minorisierte Subjekte häufig entscheiden. Obwohl sie von der Dominanzkultur gestattet und dazu ermutigt wird, ist die Schnee-Phase keine tragfähige Variante für Menschen, die Rassismus erfahren. Zuallermeist schmilzt Schnee in den Händen des Subjekts, das versucht, durch Verbindungen (seien sie erotisch, emotional oder beides) mit weißen Menschen Privilegien zu erlangen. Davis fährt fort und erklärt ihre nächste Phase:
„Dann gab es eine bewusste Verschiebung. Ich war nämlich die erste in meiner Familie, die aufs College ging – und wurde militant. Zu dieser Zeit begann ich, alles über Angela und die Panthers zu lesen; Vaginal entstand dann spontan aus Angela durch den Filter des Humors. Daraus wurde in den frühen 1980ern meine Acapella-Performance-Figur Vaginal Davis and the Afro Sisters (– das waren zwei weiße Mädels mit Afro-Perücken). Wir spielten eine Show namens ‚we’re taking over’ [wir übernehmen], in der wir die ‚Sexualese Liberation Front’ inszenierten, die sich entscheidet, all die Führungspersonen des weißen kapitalistischen Amerikas zu entführen, um ihnen große Schwarze Dildos in ihre weißen Arschlöcher zu schieben und für sie Lösegeld zu fordern. Viele im Publikum – ehemalige Punks aus der Mittelschicht – kamen darauf gar nicht klar. Sie kapierten die tuntige Theatralik nicht, aber es war mir ein bisschen egal.“ [2]ebd.
Die Punkrock-Drag-Diva beleuchtet hier eine Bühne oder einen zeitlichen Raum, in dem das Bewusstsein der Person of Color sich ihrer Community zuwendet, nachdem sie in weiße Kultur und Bildung abgetaucht war. Die von Davis beschriebene ultramilitante Phase ist eine kraftvolle Identifizierung entgegen der Dominanzkultur. Doch zugleich hielten Davis’ queere Sexualität, ihr Queersein und ihre Effemination sie davon ab, gänzlich in die Black-Power-Militanz einzusteigen. Da sie nicht durch einfache Gegenidentifikation als heterosexuelleR SchwarzeR AktivistIn durchgehen konnte, disidentifizierte sich Vaginal Davis stattdessen mit Black Power, indem sie Angela und nicht die Panthers als Orientierung der persönlichen und politischen Selbstgestaltung wählte. Davis’ Gebrauch der Disidentifikation zeigt, dass es sich um eine – mit Kimberlé Crenshaws Begriff gesprochen – intersektionale Strategie handelt. [3]Kimberele William Crenshaw, „Beyond Racism and Misogyny: Black Feminism and 2 Live Crew“, in „Words That Wound: Critical Race Theory, Assaultive Speech, and the First Amendment“, hg. v. Mari J. Matsuda et al. (Boulder, Colo.: Westview, 1993), S. 111-32. Intersektionalität beharrt auf einer kritischen Hermeneutik, die verzeichnet, wie Sexualität, Rassifizierung, Klassenzuschreibung, Vergeschlechtlichung und weitere Identitätsunterscheidungen als spezifische Bausteine gleichzeitig existieren und wirken. Der ältere Black-Power-Diskurs enthielt viele homophobe und maskulinistische Elemente, die für queere und feministische Subjekte toxisch waren. Davis arbeitete Black Power mit Parodie und Persiflage um und öffnete die Bewegung durch Disidentifikation für ein Selbst, das zugleich Schwarz und queer ist. […]
Es ist etwa 1:30 Uhr nachts bei Squeezebox, einem angesagten queercore-Abend in einer Bar im südlichen Manhattan. Es ist eine warme Juninacht und die Show von PME hätte um Mitternacht beginnen sollen. Ich bemerke die leicht erkennbare Hauptsängerin der Band bei ihrer eiligen Ankunft um 0:30 Uhr, habe also keine Erwartung mehr, dass die Show vor 1 Uhr beginnen wird. Ich vertreibe mir die Zeit, indem ich dünnen blassen Gogo-Tänzern und Tänzerinnen an den Stangen zusehe. Die Jungs sind nicht die bullig-aufgepumpten weißen und Latino-Muskeljungs von Chelsea. Wir sind hier schließlich im tiefsten Downtown, wo sich der queere Stil deutlich vom ultramaskulinen Muskel-Drag von Chelsea unterscheidet. Dennoch ist das Publikum extrem weiß und Vaginal Davis’ Schwarzer, beinahe zwei Meter großer Körper erhebt sich über dem Meer aus weißem, ehemals punkigem Club-Publikum. Ehe ich mich versehe, hört Miss Guy – eine Drag-Darstellerin, die visuell den Stil des verwahrlosten südkalifornischen „White-Trash“-Straßenpunks ausstrahlt – auf, ihre klassischen 1980er-Platten mit Retro-Rock, Punk und New Wave aufzulegen. Dann kündigt Mistress Formika, die beeindruckende in Leder gekleidete Latina Dragqueen und Gastgeberin des Clubs, die Band an.
An diesem Punkt bedarf es einer Klärung. Vaginal ist so etwas wie die zentrale Performance-Persona der von mir besprochenen Künstlerin. Doch sie ist gewiss nicht die einzige. Es gibt auch die Most High Rev’rend Saint Salicia Tate, eine evangelikale Kirchenfrau, die predigt: „Unzucht, nein! Gottesstaat, ja!“; Buster Butone, eine Boy-Drag-Nummer zwischen Gangsta und Womanizer; sowie Kayle Hilliard, ein professionelles Pseudonym der Künstlerin, als sie in der Verwaltung der University of California in Los Angeles arbeitete. [4]Anm. d. Verf.: Der „Queercore“-Autor Dennis Cooper versuchte in dem Magazin „Spin“, Davis’ „wahre“ Identität zu enthüllen, und deutete an, dass diese Hilliard sei. Damit schnitt sich Cooper ins eigene Fleisch, denn Davis’ professionelles Pseudonym Hilliard war eine weitere „imaginäre Identität”. Im Gespräch erzählte mir Davis, dass ihr tatsächlicher Geburtsname Clarence sei, was im weiteren Verlauf dieses Textes eine wichtige Rolle spielt. Dies sind nur einige der Identitäten der Künstlerin; ich muss sie noch alle katalogisieren.
Die Identität, die ich heute Abend auf der Bühne sehen werde, ist mir neu. Davis ist wieder einmal in Boy-Drag gekleidet, steht auf der Bühne in Militäruniform samt Camouflage-Hose, Jacke, T-Shirt und Hut. Komplett wird der Look mit einem langen grauen Bart, der an die Bärte der texanischen Rocker-Band Z Z Top aus den 1980er Jahren erinnert. Clarence stellt sich vor. In einem Monolog erklärt uns Vaginals hohe Stimme, dass sie weiße, rassistische Milizionäre wirklich heiß findet – so heiß, dass sie selbst die Umwandlungen von Rassifizierung und Geschlecht hat vornehmen lassen, um nun Clarence zu sein. Clarence ist das Objekt der eigenen Zuneigung der Künstlerin. Ihre Stimmlage fällt, als sie an die Stelle des Objekts ihres Begehrens tritt. Sie imitiert und wird das Objekt ihres Begehrens. Die ambivalenten Schaltkreise des Begehrens zwischen verschiedenen rassifizierten Gruppen werden hier in einem einzigen Körper thematisiert und umfasst. Diese besondere, unter einem schlechten Stern stehende, Paarung aus Schwarzer Queen und rechtsextremem Mann, könnte Masochismus nahelegen. Doch eine solche Lesart wäre zu einfach. Stattdessen sollten wir die in dieser Performance des verbotenen Begehrens für das „schlechte“ Objekt vollzogene Arbeit, die toxische Kraft, als aktive Disidentifikation lesen: entgegen der Kritik an rassifizierungsübergreifendem Begehren in Communitys of Color und entgegen der Geister der „Rassenschande“, die weiße Sexualität heimsuchen. Die Parodie der Performance greift Freud’sche Unterscheidungen zwischen Begehren und Identifikation auf; die Binarität zwischen Sein und Haben wird queer umgestaltet und gestört.
Als die Stimmhöhe der Darstellerin fällt und schwerfällig wird, ist klar, dass nun Clarence am Mikrofon ist. Er gratuliert sich selbst zu seiner eigenen waldigen militärischen Männlichkeit und prahlt, wie großartig es sich anfühlt, weiß, männlich und hetero zu sein. […]
[…]Diese Performance butchiger Männlichkeit ergänzt die Darbietung der Milizionärsidentität. Das Lied fungiert als Illustration einer bestimmten Form von weißer, männlicher Angst, aus der sich die ultrarechten Bewegungen wie Milizen nähren und die der umkämpften weißen Hetero-Männlichkeit in urbanen multiethnischen Räumen wie Los Angeles innewohnt. Die Furcht vor einer urbanen Landschaft, die von unerwünschten Minderheiten bevölkert ist, wird besonders ausdrücklich an privilegierten Orten der Konsuminteraktion wie dem Geldautomaten – einem öffentlichen Ort, an dem Eliten in der Stadtlandschaft auf Kapital zugreifen, während die niederen Klassen diese mechanischen Transaktionen bezeugen, durch die Klassenhierarchien betont werden. In ihrer Darbietung von Clarence steigt Vaginal in das Bild vom paranoiden und umkämpften weißen Mann in der multiethnischen Stadt ein. Die Performerin beginnt, auf subtile Weise den geschlechtlichen Zusammenhalt dieses kulturellen Typus zu untergraben – eines geschlechtlichen Archetyps, der immer als heteronormativ figuriert wird: der umkämpfte weiße Mann in der multiethnischen Metropole – indem sie auf dessen Vorliebe für „reizende“ und „hübschere“ Waffen anspielt. Die derart offensichtliche Erotisierung von Waffen offenbart das queere Spektrum, das solch „undurchdringliche“ Heterosexualitäten heimsucht. Clarence braucht seine Pistole, weil sie „so warm ist“, dass sie ihn „in der Stadt sicher“ macht, in der er sich nicht mehr sicher fühlt – eine Stadt, wo die wachsenden asiatischen, afroamerikanischen und Latin@-Bevölkerungen eine Bedrohung für die weiße Mehrheitsposition darstellen.
Clarence ist eine Disidentifikation mit militärischer Männlichkeit – nicht bloß eine Gegenidentifikation, die den Milizionär ablehnt, sondern ein taktisches Verkennen, das bewusst das Selbst als einen Milizionär betrachtet. Zumal befasst sich diese Performance offensichtlich nicht mit der Frage des „Passing“ – des Durchgehens-als. Denn das Whiteface-Makeup der Künstlerin sieht so gar nicht aus wie echte weiße Haut. Clarence hat in etwa so viel Chance, als weiß durchzugehen, wie Vaginal eine Chance hat, als weiblich durchzugehen. Vielmehr funktioniert diese Disidentifikation als verinnerlichtes Passing. Das innere Durchgehen-als ist eine Disidentifikation und ein taktisches Verkennen des Selbst. Aspekte des Selbst, die für den Milizionär toxisch sind – Schwarzsein, Schwulsein und Travestie – werden diesem besonders militaristischen Skript von Männlichkeit aufgepfropft. Durch ihre Rolle des Clarence bewohnt und untergräbt die Darstellerin den Milizionär mit einem leidenschaftlichen Sinn für Parodie.
Doch Davis’ Disidentifikationen beschränken sich nicht auf Auseinandersetzungen mit Figuren der weißen Vorherrschaft. In einer seiner anderen Live-Nummern, disidentifiziert sich Clarence in einem ganz ähnlichen Stil mit der Boulevardpresse-Darstellung vom pathologischen schwulen Mörder. Die Geschichte wird im Lied „Homosexual Is Criminal“ erzählt:
A homosexual
Is a criminal
I’m a sociopath, a pathological liar
Bring your children near me
I’ll make them walk through the fire
I have killed before and I will kill again
You can tell my friend by my Satanic grin
A homosexual is a criminal
I’ll eat you limb from limb
I’ll tear your heart apart
Open the Frigidaire
There’ll be your body parts
I’m gonna slit your click
Though you don’t want me to
Bite it off real quick Salt’n peppa it too.
Ein Homosexueller
ist ein Krimineller
Ich bin soziopathisch, lüge pathologisch
Bringt eure Kinder in meine Nähe
Ich lasse sie durchs Feuer gehen
Ich habe schon getötet und ich werde wieder töten
Du kannst es an meinem teuflischen Grinsen sehen:
Ein Homosexueller ist ein Krimineller
Von Glied zu Glied werd ich dich verspeisen
Ich werde dein Herz zerreißen
Öffne den Kühlschrank
Dort werden sie liegen, deine Körperteile
Ich werde dir was aufspalten
Obwohl du das nicht willst
Es ganz schnell abbeißen, auch mit Salz und Pfeffer.
An diesem Punkt der Live-Darbietung – etwa nach der Hälfte der Performance – hat Davis den langen grauen Bart, die Jacke und die Kappe ausgezogen. Ein Striptease hat begonnen. An diesem Punkt verschwindet Clarence langsam und Davis taucht wieder auf. Sie hat begonnen, lasziv mit den anderen Bandmitgliedern zu interagieren. Sie begrabscht Gitarrist und Bassist auf ihrem Weg ins Publikum. Sie wird queer und während sie das tut, beginnt sie, Homophobie zu performen. […] Davis spielt erneut queerfeindliche Bilder mit einem parodistischen und schneidenden Unterschied. […] Indem sie zum Serienmörder wird, dessen psychologisches Profil beinahe weiß ist, nimmt Vaginal Davis nicht nur jene – allgemein von minorisierten Subjekten zu tragende – Bürde auseinander, stets das positive Bild darbieten zu müssen, sondern auch das Dahmer-Paradigma [5]A.d.Ü.: Jeffrey Dahmer war ein weißer US-amerikanischer Serienmörder, der zwischen 1978 und 1991 siebzehn Jungen und Männer of Color ermordete, vergewaltigte, zerstückelte, teilweise ihre Leichenteile aß oder sie präparierte., in dem der weiße Kannibale schwule Männer of Color schlachtet. […]
Beim letzten Stück angekommen, ist Vaginal Davis wieder in Gänze präsent – und zwar in einem tarnfarbenen Babydoll-Nachthemd. Sie schreit und windet sich noch immer auf der Bühne, getränkt in Rock’n’roll-Schweiß. Die Clarence-Persona hat sich aufgelöst. Lang lebe die Queen. In einem Interview erklärte mir Davis, dass ihr eigentlicher Geburtsname Clarence sei. Was bedeutet es, wenn die Künstlerin, die verschiedene Performance-Personas verhandelt und Vaginal Creme Davis als eine Art Hauptidentität nutzt, ihren „Geburtsnamen“ für eine Figur vorhält, die den aktuellen Belagerungszustand der Nation repräsentiert? Davis’ Drag, diese neu gestaltete, Geschlechter und Rassifizierung durchkreuzende Minstrel-Show, lässt sich am besten als terroristischer Drag begreifen – terroristisch insofern sie die inneren Ängste der Nation rund um Rassifizierung, Geschlecht und Sexualität ausführt. Es handelt sich auch um einen ästhetischen Terrorismus: Davis nutzt bodennahe guerilla-artige Repräsentationsstrategien, um einige der herausstechenden Fantasien der Nation zu porträtieren. Zu den von ihr ausgelebten Fantasien gehören kulturelle Ängste rund um rassifizierte Durchmischung, Communitys of Color sowie den queeren Körper. Ihre Kleidung versucht sich nicht an überholten Idealen weiblichen Glamours. Stattdessen kleidet Davis sich als rechtsextremer Milizionär oder als Schwarze, Sozialhilfe betrügende Hure. Anders ausgedrückt:, ist ihre Drag-Nachahmung nicht mit der Maskerade von Fraulichkeit beschäftigt, sondern sie beschwört die gefährlichsten Bürger*innen des Landes. Sie liefert sehr buchstäblich „terroristischen Drag“.
Davis’ terroristische Drag-Performance widmet sich [also] nicht dem Projekt, als ein bestimmtes Geschlecht durchzugehen, wie es traditionelle Drag-Darbietung zumindest teilweise tut. Dennoch ist es nützlich, anzuerkennen, wie Passing und das, was ich als Disidentifikation beschreibe, einander ähneln – beziehungsweise, um es genauer zu sagen, wie das Passing des traditionellen Drag Bestandteile des disidentifikatorischen Prozesses impliziert. Beim Passing geht es oft nicht um eine unverfrorene Widersetzung gegen ein vorherrschendes Paradigma oder darum, sich pauschal an diese Form zu verkaufen. Wie Disidentifikation selbst kann auch Passing eine dritte Form sein, in der eine vorherrschende Struktur vereinnahmt, bearbeitet und ihr entgegengetreten wird. Das Subjekt, das als etwas durchgeht, kann sich zugleich mit einer dominanten Form identifizieren und sie zurückweisen. Im traditionellen Drag von männlich nach weiblich wird „Frau“ dargestellt. Dennoch wäre es naiv und tief in heteronormativer Kultur versunken, eine solche Darbietung als eine tatsächliche Darstellung von „Frau“ zu betrachten. Drag-Performance strebt danach, Weiblichkeit zur Schau zu stellen, und Weiblichkeit ist keine ausschließliche Domäne biologischer Frauen. Des Weiteren disidentifiziert sich die Dragqueen – mal kritisch und mal nicht – nicht nur mit dem Ideal von Frau, sondern auch mit der erfahrungsvorgängigen Beziehung zwischen Frau und Weiblichkeit, einem Grundsatz geschlechternormativen Denkens. […]
Beide Formen, das Selbst darzubieten – Disidentifikation und Passing – sind häufig Überlebensstrategien. (Wie der Fall von Davis und anderen nahelegt, ermöglichen diese Performance-Formen eine Menge mehr als bloßes Überleben; und Subjekte erlangen hier gänzlich ihre Subjektivität, würdevoll und leidenschaftlich.) Davis’ Arbeit ist eine Überlebensstrategie auf einer symbolischeren Ebene als jener der Alltagspraxis. Sie geht nicht als etwas anderes durch, um gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und strukturellem Rassismus zu entfliehen, wie manche Menschen, die Rassismus erfahren, das tun mögen. Noch geht sie auf die Weise als etwas anderes durch, wie queere Menschen das tun, die so tun als wären sie hetero. […]
Ihre Performance als Clarence funktioniert als Intervention in die Geschichte des rassifizierungsübergreifenden Begehrens, die das Phänomen des Passing durchtränkt.
Davis’ beißende Gesellschaftskritik projiziert auf fantasmatische Weise die uralte Bedrohung der rassifizierten Vermischung – eine der größten Ängste von Rechtsextremen – auf das Bild eines weißen Rassisten. Rassifizierungsübergreifendes Begehren beschmutzt das Image des Milizionärs. [6]Anm. d. Verf.: Hier riskiere ich, alle regierungsfeindlichen Milizen mit traditionelleren einheimischen terroristischen Gruppen wie dem Ku-Klux-Klan oder Neonazis gleichzusetzen. Nicht alle Milizionär*innen sind weiße Rassist*innen, und die große Mehrheit der weißen Rassist*innen gehört keiner Miliz an. Aber Davis’ Clarence beschäftigt sich definitiv mit rassistischen Milizen, deren regierungsfeindliche Philosophien auch offen fremdenfeindlich und weiß-rassistisch sind. Es stellt den Zusammenhalt seiner Identität infrage, sein essenzialisiertes Weißsein, indem es den Eindruck von dessen essenzialisierter weißer Reinheit überfällt. Der Milizionär wird zu einer Karikatur seiner selbst, besudelt und in seiner eigenen Logik herabgesetzt.
Des Weiteren wird hier die Blackface-Minstrel-Show – das Performance-Genre, in dem Weiße Schwarzsein inszenieren – auf starke Weise durch Disidentifikation neu gestaltet. Das rassistische Bild vom dicklippigen Sambo wird vom Bild des lächerlichen weißen Milizionärs ersetzt. […]
[…] Davis führt ihren Kulturkampf mit Sinn für satirischen Humor und treffsichere Parodie. Ihre Performances repräsentieren multiple Gegenöffentlichkeiten und Subjekte, die sogar in jenen Gegenöffentlichkeiten kaum wahrnehmbar sind. Scharfsinnig nutzt sie Performance als Form der Gegenöffentlichkeit. Performance erzeugt, fördert und schafft Welten. Davis gehört auf ambivalente Weise zur Szene der Metal- und Post-Punk-Musik. Ihr Schwarzsein und Queersein machen sie zum Freak unter Freaks. Statt sich durch ihre Freakigkeit außen vor zu fühlen, schöpft sie deren Energien und Potenziale aus, um Kulturkritik zu üben.
Ein guter Freund und ich haben einen Witz, den wir jeden Juni wieder auspacken. Zum Anlass der Pride, jener Demonstration und Zelebrierung von lesbischer und schwuler Sichtbarkeit und Stärkung, die in vielen großen nordamerikanischen [und deutschen] Städten im frühen Sommer abgehalten wird, schlagen wir eine Gay Shame Day Parade vor. Anders als der sonnige Christopher Street Day würde die Demo in unserem Witz im Februar stattfinden. Die Teilnehmenden müssten sich mit gewissen Beschränkungen herumschlagen, bevor sie sich richtig auf die Haltung des Homo-Scham-Tags einlassen könnten. Zuallererst würde von knalligen Farben abgeraten. Die Teilnehmenden würden gebeten, triste Braun- und Grautöne zu tragen. Die Scham-Demonstrierenden würden außerdem aufgefordert, Transparente zu tragen, die nicht größer als Visitenkarten sein dürften. Gesänge wären verboten. Die Teilnehmenden müssten in einer einzelnen Schlange laufen. Schließlich würde die Parade nicht in einer zentralen Stadtstraße stattfinden, sondern in einer Hintergasse, vorzugsweise am Fluss. Während wir nicht umhinkommen, an einigen Aspekten des tatsächlichen stolzen queeren Tages teilzunehmen, stoßen uns der Kommerz und die Trittbrett-fahrenden Repräsentationen von queerer Identität ab. Wenn das meiste der einfach zugänglichen und sichtbaren homosexuellen Welt vornehmlich weißer und männlicher Kommerz ist (das Einkaufszentrum der zeitgenössischen Schwulenkultur), dann haben wir wenig Grund, stolz zu sein.
Manche dieser Gefühle wurden kürzlich im Sammelband Anti-Gay von Mark Simpson aufgegriffen. [7]Mark Simpson, ed., „Anti-Gay“ (London: Freedom Editions, 1996). Mit seinem minimalistischen schwarzen Courier-Print auf einem schlichten sicherheitsgelben Umschlag setzt das Buch ein sehr unaufdringliches visuelles Statement, das zu unserem zuvor erwähnten schwulen Scham-Tag passen würde. Simpsons Einführung nimmt das Scheitern der „grandiosen Ambitionen der Queers“ in den Blick. Er behauptet: „[D]urch einen Fokus auf die Unzulänglichkeiten von Gay und die Weigerung, sich davon ablenken zu lassen, wie schrecklich Heterosexualität angeblich ist, bietet Anti-Gay vielleicht sogar den Beginn einer neuen Dialektik, eines neuen Gesprächs mit der Welt, das interessanter sein könnte als die bisherigen.“ [8]ebd., xix.
Ich stimme Simpsons Bemerkungen zu. Die schwulen Communitys, in denen wir leben, sind oft unfähig, irgendeine Selbstkritik zu artikulieren, in der Politiken von geschlechtlicher, rassifizierter und Klassen-Vielfalt vorkommen. Doch statt nun Kritik an den Politiken der Mainstream-Schwulen-Community vorzubringen, scheint Simpson schlicht gelangweilt von einem Gespräch zu sein, das seines Erachtens nicht mehr „interessant“ ist.
An einer Stelle seiner Diskussion erwähnt Simpson die Homogenität der Beitragenden zum Buch: „Es [Anti-Gay] macht kein Versprechen, inklusiver zu sein als Gay (nur von zwei Frauen, einer bisexuellen Person und keiner Person of Color sind Beiträge enthalten). [9]ebd. Simpsons Angriff auf „Gay“ befasst sich nicht mit dessen Ausschluss, weißer Normativität oder Unwille, Bündnisse mit anderen Gegenöffentlichkeiten einzugehen – einschließlich feministischen (lesbischen wie hetera) und anderen minorisierten Gruppen. Meine eigene spielerische Kritik an der schwulen Community in dem Witz über einen schwulen Scham-Tag entspringt meiner tiefen Frustration gegenüber dem, was ich als Mainstream- oder kommerzielle Homo-Szene bezeichne. Im Gegensatz dazu bedeutet Simpsons „antigay“ eher eine Kritik im Stile von „alles schon gesehen und getan“, die vor allem Langeweile verzeichnen soll.
Die Formen des „antischwulen“ Denkens, die in Vaginal Davis’ Werk vorgebracht werden, haben einen völlig anderen Ursprung und andere Wirkung als Simpsons Anti-Gay. Davis’ Version der antischwulen Kritik bietet mehr als eine lustlose Beschwerde. Sie liefert eine nachhaltige Kritik an weißer schwuler männlicher Normativität und dem damit einhergehenden Kommerz-Ethos mit. „Closet Case“, ein weiterer Track auf dem Album von PME, erscheint auf den ersten Blick als Kritik an versteckter Homosexualität. Doch eine tiefergehende Analyse offenbart, dass der Song eher eine Ästhetik kritisiert als einen Typ von Individuum. Der Text des Liedes beschreibt eine Lebensform, die (insbesondere aus Davis’ Perspektive als schwuler Mann of Color aus der Arbeiter*innen-Klasse) als bourgeoise südkalifornische Version urbanen schwulen Stils erkennbar ist.
She drives a Trans Am
And she lives in the Valley
Everynight she cruises
Gasoline alley
Salon tan
Ray Ban
All buff
Acts tuff
Big Dick, heavy balls
Nice pecs, that ain’t all
Y’know she’s a closet case
Got blow dried hair, wears a lot of cologne
Call her own condo on her cellular phone
She’s 38 but thinks she’s 21
Covers those wrinkles in collagen
Old enough to be Richard Harris
Facial Scrub: plaster of Paris
You know she’s a closet case
(Salon Tan!)
You know she’s a closet case
(Ray Ban!)
Sie fährt einen Trans Am Und sie lebt im Tal Jeden Abend cruist sie durch die Benzin-Allee
Bräune vom Solarium Ray Ban durchtrainiert zeigt sich taff Großer Schwanz, dicke Eier nette Brustmuskeln, das ist nicht alles
Du weißt, sie versteckt sich im Schrank
Trägt geföhntes Haar und viel Parfüm Ruft vom Handy in ihrer Eigentumswohnung an
Sie ist 38, hält sich für 21 Verdeckt die Falten mit Collagen Alt genug, um Richard Harris zu sein Gesichtspeeling: Pariser Pflaster
Du weißt, sie versteckt sich im Schrank (Bräune vom Solarium!) Du weißt, sie versteckt sich im Schrank (Ray Ban!) |
Der Schrank ist hier nicht unbedingt jener derer, die homosexuelle Akte vollziehen, sich aber nicht als schwul identifizieren. Stattdessen lebt die Schwester, um die es in diesem Lied geht, erkennbarer verborgen bezüglich ihres Alters, Aussehens und alltäglicher Gewohnheiten. Davis bespricht hier satirisch eine verborgene Queen, deren Stil auf einer Landkarte der urbanen südkalifornischen Homosexualitäten einfach wiederzufinden ist. Ein kurzer Überblick des beschriebenen spezifischen Typus ist hier nützlich. Markennamen wie Ray Ban und Trans Am, Handys und Eigentumswohnungen und die damit verbundenen Preisschilder sind wesentlich für die Identität dieser Queen. Gleiches gilt für Solariumsbräune, Gesichtspeelings und Collagen-Injektionen, die man sich in der Freizeit gönnt. Am allerwichtigsten ist der durchtrainierte Fitnessstudio-Körper. Davis’ Lied erzählt von der Anatomie (körperlich, im Verhalten sowie sozioökonomisch) des normativen und kommerziellen Homosexuellen. Der „closet case“ des Liedes ist eine Elite in einem größeren Spektrum schwuler Communitys – und Davis’ satirische Parodie zerlegt diesen kulturellen Typus. Humor wird genutzt, um diese Form des apolitischen Schwulsein lächerlich zu machen und abzuwerten. Deren Vorrangstellung als universelle Form oder universelles Muster wird gestört. Die gegnerische Haltung zu diesem Schwulsein wird hier als Möglichkeit genutzt, eine Ausführung von weißer schwuler männlicher Vorherrschaft zu verspotten und schließlich zu stören. […]
„Queersein“ und „Schwarzsein“ müssen als ideologische Diskurse verstanden werden, die widersprüchliche Impulse in sich tragen – manche davon befreiend, andere reaktionär. Diese Diskurse erfordern auch eine Hermeneutik, die die intersektionalen und unterschiedlich wirkenden doch parallel laufenden Strömungen im Hinblick auf individuelle ideologische Skripte auswertet. Davis’ Werk ist an einer Schnittstelle zwischen verschiedenen Diskursen positioniert (wo sie verwoben sind); und von diesem Punkt aus kann sie eine parodistische und komödiantische Entmystifizierung inszenieren – und damit ist das Potenzial für Subversion gegeben. Als Analyseform verzeichnet Disidentifikation Subjekte als konstruiert und widersprüchlich. Davis’ Körper, ihre Performances und ihre unzähligen Texte arbeiten daran, ein kritisches Unbehagen zu erzeugen und dadurch ein Begehren innerhalb des Unbehagens zu schaffen. Dieses Begehren erschüttert die Verengungen von Klasse, Rassifizierung und Geschlecht, die vom „sozialen Körper“ (Guattari) vorgeschrieben sind. Eine disidentifikatorische Hermeneutik erlaubt eine Lesart und Erzählung dessen, wie Davis einen Raum entrümpelt, ihn enträumlicht und ihn dann mit queeren und Schwarzen Körpern neu besetzt. Die Linse der Disidentifikation ermöglicht es uns, Nahtstellen und Widersprüche zu bemerken und schließlich das Bedürfnis nach einem Stellungskrieg [10]A .d. Ü.: Muñoz bezieht sich hier auf Stuart Halls Adaption von Gramscis Theoriebildung für die Rassismusanalyse. Laut Hall erkennt dessen Konzept des Stellungskriegs (im Gegensatz zu einem veralteten orthodox-marxistischen Bewegungskrieg) „die ‚Pluralität‘ von Identitäten“ an, „aus denen sich das sogenannte ‚Subjekt‘ des Denkens und der Ideen zusammensetzt.“ zu verstehen.
Textauszüge aus: Muñoz, José Esteban: „The White to Be Angry: Vaginal Davis's Terrorist Drag“. In: Social Text, No. 52/53, Queer Transexions of Race, Nation, and Gender, Herbst/Winter 1997, Duke University Press, S. 80–103.