
Symposium
Wir sind es gewöhnt und darum bemüht, Fragen unverzüglich Antworten folgen zu lassen, in Sekundenschnelle umfassende Information zu allen denkbaren Themen abzurufen, Definitionen zu finden, das Richtige vom Falschen zu trennen und uns Urteile zu bilden. Wir verfolgen die Nachrichten und wundern uns darüber, was anderswo passiert. Wir planen Termine und Reisen. Wir koordinieren und stimmen ab. Wir zahlen regelmäßig in Versicherungen ein und legen unser Geld vernünftig an. Für spätere Zeiten. Nicht selten haben diese alltäglichen Verhaltensweisen auch etwas mit Ängsten zu tun – vor Veränderungen, vor dem Unkontrollierten und dem Ungewissen. Dabei ist kaum etwas sicherer als Veränderung.
Der Ausgangspunkt für die Erforschung des Themenfelds „Uncertainty“ im Rahmen des Festivals ist die Zusammenarbeit mit unserem Focus-Künstler William Kentridge. Der südafrikanische Zeichner, Filmemacher, Performer und Regisseur spricht von Unsicherheit (uncertainty) und Vorläufigkeit (provisionality), wenn er seine prozesshafte Arbeitsweise im Studio beschreibt. Es geht dabei aber nicht nur um eine künstlerische Strategie, sondern auch um einen besonderen Blick auf die Welt. Fortwährende Transformation zieht sich vor dem Hintergrund südafrikanischer Geschichte und Gegenwart durch Kentridges Werk.
Unsicherheit bzw. Ungewissheit nicht als Bedrohung sondern als eine Lebenswahrheit zu verstehen mag in anderen Teilen der Welt üblicher sein als in Mitteleuropa. Gleichzeitig stellt sich immer dringlicher die Frage, wie wir mit der Unsicherheit sozialer und politischer Realitäten umgehen.
Wir haben mit vielen Künstler*innen und Kolleg*innen über dieses Thema gesprochen und so werfen mehrere Festivalprojekte einen Blick auf Zustände und Landschaften der Unsicherheit: Die Gruppe BERLIN hat für ihre dokumentarische Produktion „Zvizdal“ wiederholt ein älteres Paar in einem Geisterdorf bei Tschernobyl besucht, das dort einsam und umgeben von der unsichtbaren radioaktiven Strahlung lebt. Dries Verhoevens Video-Installation „Guilty Landscapes – episode II“ untersucht das Verhältnis zwischen medial übermittelten Bildern von Menschen in verwüsteten und prekären Umgebungen und den Blicken ihrer Betrachter in der „Ersten Welt“. Diese wie auch weitere Arbeiten sind in der Nachtausstellung „Uncertain Places“ zu erleben, welche die Besucher*innen auf eine Entdeckungsreise durch die Tiefen des nächtlichen Theaters schickt. Das Nächtliche spielt im Zusammenhang mit der Furchtsamkeit des menschlichen Daseins auch in „Sleepless Nights“ mit Jarvis Cocker und Forced Entertainments „From The Dark“ eine zentrale Rolle. Bei Tag und Nacht begeben sich das Nature Theater of Oklahoma und ihre Kompliz*innen für einen Science-Fiction-Filmdreh an verschiedenen Orten in der Stadt immer wieder in unmögliche Situationen aus dem Jahr 2071.
Ergänzend zum künstlerischen Programm haben wir Künstler*innen und Wissenschaftler*innen für das Symposium „Landscapes of Uncertainty“ eingeladen, um Perspektiven und Strategien für den Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheiten vorzustellen. Mit einem Vortrag über die Bedeutung der Ungewissheit in Wissenschaft und Kunst wird Helga Nowotny den Nachmittag eröffnen. Es folgen künstlerisch-diskursive Beiträge von Armin Chodzinski, dem Laboratory of Insurrectionary Imagination, Johannes Paul Raether a.k.a. Protektorama und Peter Galison sowie ein Gespräch zwischen William Kentridge und Peter Galison.
Mit Beiträgen von Armin Chodzinski, Peter Galison, William Kentridge, Laboratory of Insurrectionary Imagination, Helga Nowotny und Johannes Paul Raether a.k.a. Protektorama
Jörn Schafaff Moderation
Eine Empfehlung von Theaterscoutings Berlin