Inszenierung
frei nach „Faust I“ von Johann Wolfgang von Goethe
Leistungszentrum Schwarzer Kasten
Albert-Einstein-Schule
Das Ensemble von „My body is a cage“ setzt sich mit dem Bildungssystem auseinander. ©Sina Kuhlins, Olaf Mönch
Gefangen in einem veralteten, unattraktiven, bewegungsunfähigen Körper – Spielen wir Faust oder sind wir in der Schule? In ihrer freien Bearbeitung von Goethes Faust hinterfragt die Gruppe, was Bildung heute bedeutet – wer sie definiert, wer Zugang hat und wo sie an Grenzen stößt. Gefangen in alten Denkmustern und inneren Blockaden, geht Faust für einen Moment der Erfüllung einen folgenschweren Pakt ein. Die Inszenierung spiegelt den Konflikt zwischen Wissen und körperlicher Selbstbestimmung wider und stellt die Frage, ob unser Bildungssystem mehr Symptome behandelt als echte Veränderung ermöglicht.
Wir sind das Leistungszentrum Schwarzer Kasten. „My Body is a Cage“ – die Auseinandersetzung mit der Gelehrtentragödie aus „Faust I“ – ist unser erstes gemeinsames Stück. Wir spielen alle seit der fünften Klasse Theater an der Albert-Einstein-Schule. Wir sind zwischen 14 und 19 Jahre alt. Der Altersmix bringt neue Perspektiven. Weil wir uns als Kollektiv verstehen, arbeiten wir demokratisch an unseren Ideen und Zielen.
In „Faust I“ geht es darum: Ein Mensch, hochgelehrt, freier Zugang zu Bildung, viel Zeit und finanzielle Mittel …aber er hat Schranken im Kopf, setzt sich selbst Grenzen und steckt fest – im ewig Gestrigen. Stagnation: My Body is a Cage. Plötzlich bekommt er ein Angebot, das er nicht ablehnen kann, es scheint der Ausstieg aus seiner Misere zu sein. Aber das Angebot ist genauso rückwärtsgewandt wie sein ganzes bisheriges Leben. Progression und Wandel gleich null.
Dennoch: Hey! Ein Augenblick der absoluten Zufriedenheit! Für diesen Moment geht er einen Pakt mit dem Teufel ein. Den Körper befreien.
Wir sitzen tagtäglich in unseren Studierstuben und sammeln Bildung – oder das, was die Ministerien glauben, was Bildung für uns sein soll. Geist-Körper-Clash. Ist das nicht alles eine Symptombekämpfung und die Reflexion über das, was geändert werden müsste, bleibt aus? Wir spielen dann halt mal Blockflöte?*
*Auszug aus dem Koalitionsvertrag der neuen Hessischen Landesregierung zum Thema Kulturelle Bildung: „Wir werden ein Blockflötenprojekt mit Schulanfängerinnen und Schulanfängern starten, bei dem die Grundschülerinnen und Grundschüler eine Blockflöte und die Lehrkräfte passendes Unterrichtsmaterial erhalten. So wollen wir Kindern möglichst früh das Tor zur Welt der Musik öffnen.“
Jurykommentar
Die Theater-AG der Albert-Einstein-Schule Groß-Bieberau präsentiert mit „My Body is a Cage“ eine bemerkenswerte Interpretation von Goethes „Faust I“ (Gelehrtentragödie). Statt den Klassiker unnahbar zu inszenieren, nutzen die jungen Theaterschaffenden den Stoff für eine lebendige, humorvolle und kritische Auseinandersetzung mit Bildung und gesellschaftlichem Druck. Dabei lassen sie den klassischen roten Faden – wie die Gretchenfrage – bewusst hinter sich.
Faust wird zum Symbol für eigene Schulerfahrungen, die oft von sturer Wissensvermittlung, ohne Raum für Kreativität geprägt sind. Ein Beispiel für die subtile Kritik ist der wiederholte, „nervige“ Einsatz von Blockflöten, der auf den in hessischen Schulen eingeführten Pflichtunterricht anspielt. Die Inszenierung ist gespickt mit solchen Anspielungen.
Die Aufführung ist alles andere als gewöhnlich: Ein türkises Pferdchen als „Pudel“ hoppelt vor fragenden Gesichtern entlang, eine abgedrehte Beschwörung findet statt, Hexen agieren im Hobby-Horsing-Modus und ein*e skurrile*r Mephista*o erscheint in wechselnden Gestalten. Diese Mischung aus absurden Ideen und sprudelnder Energie sorgt für eine Aufführung, die von Spielfreude und Kreativität lebt. Ja, manchmal wird es chaotisch – aber genau dieses kontrollierte Chaos fesselt die Zuschauenden.
Die Interaktion mit dem Publikum ist interessant oder ein Wagnis. Direkte Hausaufgabenfragen und andere schulische Provokationen sind nicht immer bequem, bringen aber genau die gewünschte Dynamik in den Raum und lösen die Barriere zwischen Bühne und Zuschauer*innen auf. Nicht alles davon ist für jede*n Zuschauende*n angenehm, doch scheint es bewusst eingesetzt zu werden, um das Publikum herauszufordern, Teil des Geschehens zu werden.
Das Ensemble überzeugt durch ehrliche Spielfreude. Diese Überdrehungen und das Spiel mit Klischees und Stereotypen in spießig-karierten Hemden verleihen der Inszenierung ihren charmanten Charakter.
Die Theater-AG zeigt mit ihrem Stück, dass Goethe und Schulkritik sich nicht ausschließen. Im Gegenteil: Diese Mischung aus Spielwitz, kreativer Freiheit und klarer Botschaft bleibt im Gedächtnis und macht Lust auf mehr. Es ist ein Beispiel dafür, wie Theater nicht nur unterhalten, sondern auch zum Hinterfragen anregen kann – und dabei viel Spaß macht. Wer Lust auf eine unkonventionelle, freche Inszenierung hat, sollte sich das nicht entgehen lassen.
Warum das Stück „My Body is a Cage“ heißt…? Das fragt ihr am besten die Gruppe direkt.
Andreas Kroder
Hannah Görtz, Magnus Görtz, Henrik Grein, Vianne Lauer, Anna Shatalov, Sophie Stock, Salome Wack, Johanna Wasem
Andrea Fischer – Spielleitung
Olaf Mönch – Technik
Johanna Paloma Schupp – Mitarbeit