— Ligia Lewis
In den Filmen und Performances von Ligia Lewis prallen Humor und Tragik aufeinander. Spielerisch verwebt die Künstlerin und Choreografin Erzählungen über Race, Gender, Gewalt und Widerstand und zeigt dabei, wie sehr die Vergangenheit unsere Gegenwart noch immer bestimmt und belastet. Lewis’ Arbeiten brechen mit einer Vorstellung von Geschichte als festgelegte Abfolge historischer Ereignisse und lenken den Blick auf die endlosen Schleifen rassistischer Gewalt. Ihre Filme und Performances zeigen, wie sich Geschichte über Generationen von erlebter Erfahrung hinweg in Körper einschreibt. Durch den Einsatz von Stimme, Text und ausdrucksstarker Mimik hinterfragen Lewis’ vielschichtige Arbeiten, wie wir einander sehen. Neben ihrer körperbezogenen Praxis bildet Lewis’ theoretische und politische Neugier die Grundlage ihrer Arbeit und ihres Denkens. Das Konzept des „Studierens“ versteht sie als Nachdenken, das mit aktivem Handeln einhergeht und im engen Austausch mit einer Vielzahl von Stimmen stattfindet. Eine Auswahl von Büchern ist über die Ausstellungsräume verstreut und lädt dazu ein, sich intensiv mit den Gedanken auseinanderzusetzen, die Lewis’ Arbeit prägen.
2025
Ton, Licht, performative Aktivierungen
Live-Performance: 28. und 29. November, 20:00
In Wayward Chant [Widerständiger Gesang] experimentiert ein Chor mit den Schnittstellen von Klang und Bewegung. Dabei entsteht eine flüchtige Choreografie, in der Figuren erscheinen und wieder verschwinden. Durch ihr Spiel mit den Schatten, die die Architektur des Lichthofs erzeugt, richtet Lewis den Blick auf das, was im Dunkeln bleibt: Wie und unter welchen Umständen können wir einander wirklich sehen und erkennen? Die Choreografie sich bewegender, singender Körper wirkt wie eine verlangsamte, gesummte Hymne. Frühe westliche Kirchenmusik und bluesartige Melodien gehen ineinander über und erinnern an eine noch immer andauernde Vergangenheit. Beschwörende Gesänge treffen auf einen optisch kargen Raum, der von Entfremdung, kollektiver Verunsicherung und der Macht der Gemeinschaft erzählt. Im Lauf der Ausstellung entwickelt sich Wayward Chant fast beiläufig in fortwährenden Wiederholungen weiter und verdichtet sich am 28. und 29. November zu einer abendfüllenden Performance, die im Rahmen der Performing Arts Season Premiere feiert.
Ligia Lewis – Konzept, Choreografie, künstlerische Leitung und Text
George Lewis Jr. aka Twin Shadow, Wynne Bennett – Musikkomposition
Sandra Blatterer, Joseph Wegmann – Lichtdesign
2023
Video (Farbe), Ton, 20 Min.
Der englische Begriff „Plot“ hat viele mögliche Bedeutungen: Geschichte oder Handlung, Grundstück oder Eigentum, Intrige oder Komplott. In A Plot, A Scandal [Ein Plot, ein Skandal] werden eine Reihe sehr unterschiedlicher Plots miteinander verwoben – als eine Form des Widerstands und der verkörperten Erinnerung. Der Film geht vom Philosophen John Locke aus, der im 17. Jahrhundert Leben, Freiheit und Eigentum zum Naturrecht des (weißen) Menschen erklärte. Diese Vorstellung floss später in die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten ein. Inzwischen ist bekannt, dass Locke durch seine Investitionen in die Royal African Company vom Handel mit versklavten Menschen profitierte. Als Reaktion darauf wendet sich Lewis einer Reihe von Komplotten des Widerstands in der Karibik zu. Dazu gehört Maria Olofas (Wolofas) führende Rolle bei Aufständen in der Dominikanischen Republik im 16. Jahrhundert sowie der Versuch einer organisierten Rebellion des kubanischen Künstlers und Revolutionärs José Aponte im 19. Jahrhundert. Die Tatsache, dass Lewis’ Urgroßmutter zu einer Zeit der Repression gegen Schwarze Menschen die afrodominikanische spirituelle Praxis Palo ausübte, betrachtet Lewis hier ebenfalls als stille Rebellion.
Ligia Lewis – Konzept, Drehbuch und künstlerische Leitung
George Lewis Jr. aka Twin Shadow, Wynne Bennett – Musikkomposition
Moritz Freudenberg, im Auftrag des Center for Art, Research and Alliances (CARA) – Kamera
2018/2025
Ton, Licht
Mit Water Will (in Melody) [Wasser Wille (in Melodie)] erschafft Lewis eine hallende Klanglandschaft. Durch das Sinnbild der Höhle lädt sie zu einer Auseinandersetzung mit dem „Femininen“ ein. Im Mittelpunkt steht dabei das Sprechen von weiblich gelesenen Personen und wie es kulturell (miss-) verstanden wird. Die Arbeit ist inspiriert von dem Märchen Das eigensinnige Kind der Gebrüder Grimm aus dem 19. Jahrhundert. Es ist die Geschichte eines dickköpfigen Kindes, dessen Ungehorsam zu seinem Tod und schließlich zu seiner gespenstischen Wiederkehr führt. Wenn weiblich gelesene oder nichtweiße Personen als eigenwillig angesehen werden, hat das in den Worten der feministischen Theoretikerin Sara Ahmed zur Folge, „dass man zum Problem wird“. Darauf aufbauend zeigt Lewis, wie Rassifizierung die Fähigkeit zu handeln einschränkt und „Eigenwilligkeit“ – insbesondere für Schwarze weiblich gelesene Personen – zu einem leeren Wort wird. Der Ausstellungsraum ist durchdrungen von ungezügelten, eigenwilligen Stimmen. Das Sprechen bricht zusammen, taumelt, gurgelt, wird verschluckt und vermischt sich mit einer abgehackten Remix-Version von Sergei Rachmaninows Sinfonie Toteninsel (1909). Die Stimmen von Lewis’ Ensemble – zu dem die Künstlerin und Schauspielerin Susanne Sachsse, Choreografin und Performerin Dani Brown sowie Lewis selbst gehören – erschaffen dabei eine Klanglandschaft des Horrors.
Ligia Lewis – Konzept und künstlerische Leitung
Edmund Burke, Jacob und Wilhelm Grimm, Ligia Lewis – Texte
Max Eilbacher – Sounddesign
Dani Brown, Ligia Lewis, Susanne Sachsse – Stimmen
Sergei Rachmaninow, Toteninsel, 1909 – Musik
2023
Live-Performance, Ton, 45-minütiger Loop mit 15 Min. Pause
Performances: Do–Mo, 14:00–17:00
Die Live-Installation study now steady [stetige studie im jetzt] verwandelt den Ausstellungsraum in einen Ort für fortlaufende choreografische Studien. Von Donnerstag bis Montag zeigt eine Gruppe von Tänzer*innen Lewis’ choreografische Partituren als kontinuierlichen Prozess. Diese Partituren liegen zahlreichen Film- und Bühnenarbeiten der Künstlerin zugrunde. Das titelgebende Konzept des „Studierens“ [study] bezieht sich auf die unabgeschlossene Arbeit am Projekt der Befreiung. Für die Black-Studies-Theoretiker Fred Moten und Stefano Harney bedeutet „studieren“ eine verkörperte Art des Daseins, Denkens und gemeinsamen Lernens – außerhalb von und in Opposition zu institutionellen Strukturen wie etwa Universitäten oder Museen. study now steady macht die Prozesse sichtbar, die Lewis’ künstlerische Praxis prägen, und versteht Leben als ein fortlaufendes Einstudieren. In Anwesenheit des Publikums entfalten sich diese Studien durch das Zwischenspiel von Körpern und der Architektur, die sie umgibt. Die Tänzer*innen bilden temporäre Gemeinschaften und treten in wechselnden Konstellationen zueinander in Beziehung.
Ligia Lewis – Konzept und Partituren
im Auftrag des Center for Art, Research and Alliances (CARA)
2020
Video (Farbe), Ton, 19 Min., 39 Sek.
Ausgehend von humoristischen Momenten wie „deadpan“ oder „corpsing“ thematisiert deader than dead [toter als tot] Schwarzsein als politische Position und anti-Schwarzen Rassismus als strukturelle Bedingung. Während mit „deadpan“ eine Form der Komik bezeichnet wird, bei der die Darstellenden passiv bleiben und keine Emotionen zeigen, beschreibt der englische Theaterbegriff „corpsing“ das unwillkürliche Herausfallen aus einer Rolle – typischerweise durch Gelächter. Für Lewis bedeutet dies auch ein „Herausfallen aus der Repräsentation“. Im Film liegen die Performer*innen stellenweise ausgestreckt – wie tot – am Boden und verweigern sich somit jeder narrativen Entwicklung. Ihre Begegnungen sind geprägt von Gesten, die zwischen Fürsorge und Gewalt schwanken. Sie stürzen zu Boden und ihre Körper werden von der Bühne getragen oder gezogen. Kurzzeitig werden sie wieder lebendig, doch ihre wilden Bewegungen enden stets in Erschöpfung. Geflüster und wirres Sprechen vermischt sich mit einem mittelalterlichen Klagelied von Guillaume de Machaut, einem Choral aus dem 14. Jahrhundert. Technobeats und die Geräusche der performenden Körper unterlegen diesen Totentanz mit einem zeitgenössischen Soundtrack. Inspiriert von dem Essay Corpsing; or, The Matter of Black Life (2016) des Philosophen David Marriott verhandelt die Arbeit Wahrnehmungen von Zeit, die Unausweichlichkeit des Todes und das unverhältnismäßig große Leid, das Schwarze Menschen als Folge von Rassismus erfahren.
Ligia Lewis – Konzept, szenische Gestaltung und Choreografie
Ligia Lewis, Steven Wetrich – Schnitt
Guillaume de Machaut, Complainte: Tels rit au main qui au soir pleure (Le Remède de Fortune), um 1340 – Musik
im Auftrag des Hammer Museum, mit Unterstützung durch Human Resources Los Angeles
— Ligia Lewis