Konzert
Patricia Brennan Septet, Mary Halvorson’s Amaryllis Sextet, London Jazz Composers Orchestra © Frank Heath, Ernest Stuart, Maya Homburger
Mary Halvorsons Amaryllis Sextet bringt den scharf gespielten, poetischen Einfallsreichtum in den Improvisationen der Gitarristin zum Vorschein. Das Programm am Festivalsamstag geht im Haus der Berliner Festspiele weiter mit dem von Bassist Barry Guy in den frühen 1970er-Jahren gegründeten internationalen London Jazz Composers Orchestra. Zuletzt betritt Vibrafonistin Patricia Brennans mit ihrer als Septett erweiterten Band die Große Bühne, ihr jüngstes Album „Breaking Stretch“ im Gepäck.
20:00
(MX, US)
Es ist weithin bekannt, dass sich Mary Halvorson zu einer der führenden Gitarrist*innen des Jazz und der improvisierten Musik entwickelt hat. Als Musikerin von unendlicher Neugier und einem unaufhaltsamen Wachstumsdrang schafft sie mit ihren Improvisationen einen Sound mit Wiedererkennungswert. Doch im Laufe ihrer Karriere hat auch ihr Interesse an der Komposition und dem Arrangement von Musik sie neue Wege beschreiten lassen. Ihr Können und ihre Vorstellungskraft in diesen Bereichen stehen nunmehr auf einer Stufe mit ihrem improvisatorischen Scharfsinn. Halvorson hat schon zuvor für größere Ensembles komponiert, als sich ihr Gründungstrio stufenweise zu einem Oktett ausweitete. Als sie jedoch zu Beginn der Pandemie das Amaryllis Sextet gründete, brachte sie sich mit noch stärkeren, ausgereifteren Ideen ein.
Für das hochkarätige Ensemble mit Posaunist Jacob Garchik, Trompeter Adam O’Farrill, Schlagzeuger Tomas Fujiwara, Bassist Nick Dunston und der an diesem Abend mit ihrem eigenen Septett im Programm vertretenen Vibrafonistin Patricia Brennan schrieb sie ein ganzes Buch voller Stücke. Anfang dieses Jahres veröffentlichte Halvorson „About Ghosts“, ihr viertes Album mit Amaryllis. Um ihrem kreativen Überschwang gerecht zu werden, engagierte sie mit Immanuel Wilkins und Brian Settles zwei exzellente Saxofonisten als Gastmusiker für dieses Album, die das Sextett ergänzten und für noch mehr Kontrapunkte und harmonischen Reichtum sorgten. Bei den Stücken handelt es sich wie gewohnt um einprägsame, zackige Wunderwerke, die von raffinierten Wendungen geprägt sind, Raum für Improvisationen lassen und den Solist*innen ausreichend Gelegenheiten bieten, sich auszutoben. Halvorson hat im Laufe der Jahre in verschiedenen Konstellationen beim Jazzfest Berlin gespielt, bei diesem Auftritt handelt es sich aber um das Berlin-Debüt des Amaryllis Sextet.
Mary Halvorson – Gitarre
Adam O’Farrill – Trompete
Jacob Garchik – Posaune
Patricia Brennan – Vibrafon
Nick Dunston – Kontrabass, E-Bass
Tomas Fujiwara – Schlagzeug
21:30
(AU, CH, DE, GB, NO, US)
Uraufführung
Der Bassist Barry Guy hebt sich in den Annalen der improvisierten Musik dadurch ab, dass er in seinen groß angelegten Kompositionen scheinbar gegensätzliche Praktiken miteinander versöhnt hat. Für „Ode“, seine allererste Aufnahme als Bandleader des London Jazz Composers Orchestra, versammelte er einige der radikalsten Erneuerer seiner Zeit um sich, um das konzertlange Stück zu spielen – darunter Derek Bailey, Evan Parker und Tony Oxley. Ihre unverwechselbaren Persönlichkeiten wirkten auf die dicht konfigurierten Stücke ein, die vor Energie nur so brodelten, rauchten und swingten. In den vergangenen Jahrzehnten hat Guy immer wieder sein Können in der freien Improvisation unter Beweis gestellt und gleichzeitig seine Virtuosität als unvergleichlicher Interpret klassischer Musik verfeinert. Aber auch sein London Jazz Composers Orchestra hat sich weiterentwickelt.
Im Jahr 1989 komponierte er „Double Trouble“ für das LJCO im Rahmen von dessen Partnerschaft mit Alexander von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra, damals für den Leader und Howard Riley an zwei Klavieren. Doch bei der ersten Aufnahme und der anschließenden Aufführung war nur Guys Ensemble zu hören. Im Jahr 1998 nahm er das Werk erneut auf, indem er das Material überarbeitete und sowohl Marilyn Crispell als auch die 2024 verstorbene Irène Schweizer hinzuholte. Es ist nach wie vor eines seiner bedeutsamsten Werke und wird doch wegen des hohen Aufwands keineswegs so oft live aufgeführt, wie es sollte. Guy hat das Stück für das diesjährige Jazzfest Berlin reanimiert. Er präsentiert eine dritte Version des Meisterwerks mit Crispell – die bei der letztjährigen Festivalausgabe mit einer atemberaubenden Soloperformance brillierte – und der US-amerikanischen Pianistin Angelica Sanchez. Da eine Reihe der Interpret*innen des Originals bereits verstorben sind, werden Veteran*innen wie der Violinist Philipp Wachsmann und der Tenorsaxofonist Simon Picard von einer neueren Besetzung unterstützt, zu der unter anderem Mette Rasmussen, Lucas Niggli und Shannon Barnett gehören.
Zu Beginn der Veranstaltung wird Marilyn Crispell der Instant Award for Improvised Music 2025 verliehen.
Barry Guy – Kontrabass, Leitung
Marilyn Crispell – Klavier
Angelica Sanchez – Klavier
Torben Snekkestad – Tenor- und Sopransaxofon
Michael Niesemann – Altsaxofon
Julius Gabriel – Baritonsaxofon
Simon Picard – Tenorsaxofon
Mette Rasmussen – Altsaxofon
Henry Lowther – Trompete
Percy Pursglove – Trompete
Charlotte Keeffe – Trompete
Andreas Tschopp – Posaune
Shannon Barnett – Posaune
Marleen Dahms – Posaune
Marc Unternährer – Tuba
Philipp Wachsmann – Violine
Christian Weber – Kontrabass
Lucas Niggli – Perkussion
Mit freundlicher Unterstützung durch die
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23:15
(CU, JM, MX, US)
Deutschlandpremiere
Seit der Veröffentlichung ihres Solodebüts „Maquishti“ im Jahr 2021 hat Patricia Brennan vor den Augen der Öffentlichkeit eine künstlerische Wandlung durchlaufen. Die in New York ansässige, mexikanische Vibrafonistin legt ein glänzendes Gespür für Harmonie und ein nicht minder beeindruckendes Feingefühl für elektronisch erweiterte Klänge an den Tag, vergleichbar etwa mit der breiten Palette, die Mary Halvorson ihrer E-Gitarre zu entlocken weiß. Brennans Ruf als meisterhafte Improvisationsmusikerin eilt ihr schon seit Jahren voraus, ihre Entwicklung als Komponistin hat nunmehr dazu aufgeschlossen. Auf „Breaking Stretch“ leitet sie ein gleichermaßen druckvolles wie agiles Septett, das sich durch dichte Wunderwerke navigiert, die Groove und Melodie in Einklang bringen. Die Einflüsse dieses Sounds sind auf Brennans vielseitige musikalischen Interessen wie auch ihre lokale Verwurzelung zurückzuführen: Sie bezieht sich auf Rhythmen aus dem karibischen Kulturraum und geht zugleich weit über sie hinaus.
Angeführt vom hartnäckig pulsierenden Bass von Kim Cass weben Schlagzeuger Dan Weiss und Perkussionist Mauricio Herrera dichte Rhythmen. Das schafft Raum für Brennans Performance und die elegant miteinander verknoteten Bläsereinsätze der Saxofonisten Jon Irabagon und Mark Shim sowie von Trompeter Adam O’Farrill. Die Musik basiert auf einem Fundament fiebriger Rhythmen, die von einem ständigen Wechsel der Klangfarben – ein unvermitteltes Bass-Solo, halsbrecherische Bläser-Riffs, gehaltene Töne – immer wieder durchbrochen wird. In den kleinsten Details ebenso wie als großes Ganzes verdeutlicht „Breaking Stretch“ Brennans kompositorisches Können.
Patricia Brennan – Vibrafon
Jon Irabagon – Alt- und Sopraninosaxofon
Mark Shim – Tenorsaxofon
Adam O’Farrill – Trompete
Kim Cass – Kontrabass
Dan Weiss – Schlagzeug
Mauricio Herrera – Perkussion