Diskussion

Diskussion I

Staat Macht Moral – Auf der Suche nach Strippenziehern

Aufgezeichnet vom ZDFtheaterkanal

„Englands Beherrscher brauchen nichts zu scheuen als ihr Gewissen und ihr Parlament“
Paulet in Schillers „Maria Stuart“

Die zwar nicht neue, aber dennoch brisante Frage nach „Staat Macht Moral“ ist in den zum Theatertreffen 2008 ausgewählten Inszenierungen hochpräsent. In klassischen Königinnen- und Königsdramen wie „Maria Stuart“ und „Hamlet“ untersucht das Theater die heutige Gesellschaft und Politik: Wem sind Machthaber Rechenschaft schuldig? Wie lassen sich staatliche Interessen und persönliche Überzeugungen vereinbaren? Der Einfluss privater Interessen auf die Politik genauso wie die Glaubwürdigkeit und Integrität der Staatsvertreter werden nicht nur in der Debatte um Wahlversprechen und ihre Einhaltung bei den letzten Landtagswahlen in Hessen verhandelt. Auch das Theater stellt diese Fragen, verstärkt vor dem Hintergrund zunehmender Gewaltbereitschaft und der allgegenwärtigen Angst vor Terrorismus.

Simon Stephens „Pornographie“ erzählt von Großstadtbewohnern im Widerspruch zwischen persönlichen Bedürfnissen und der Reglementierung durch soziale Zwänge. Tabubrüche sind an der Tagesordnung und läuten den Countdown ein zu einer Katastrophe, die im Stück ausgespart bleibt: die Londoner Terroranschläge von 2005. Wie kann der Gewaltspirale Einhalt geboten werden, ohne die liberale Tradition der Demokratie zu verraten? Wie kann sich die Gesellschaft schützen, ohne ihre Freiheit einer vermeintlichen Sicherheit zu opfern? Im Bildersturm von Stefan Puchers Shakespeare-Inszenierung entfaltet Prospero seine Machtspiele. Als Spielfiguren „performen“ seine Mitmenschen, eingesperrt zwischen den überdimensionalen Buchseiten des Bühnenbilds – klare Gedanke sind so nicht mehr zu fassen, die Folge ist Gewalt. Der fromme Wunsch des Drahtziehers Prospero, seinen Zauber zu beenden und alle ins Happy End der Komödie zu führen, ist pure Ironie. Die Videobilder auf den rotierenden Buchseiten zeigen uns: Die Welt dreht sich weiter, unter Kontrolle hat sie keiner. Das Theater schärft unseren Blick für eine Lebenswelt, in der die Menschen an ihre moralischen Grenzen getrieben werden, ganz augenscheinlich körperlich in Michael Thalheimers „Ratten“, in denen das Bühnenbild den aufrechten Gang verhindert.

Welche Umstände bringen Menschen dazu, des politischen, sozialen, ganz existenziellen Überlebens willen alle Moral über Bord zu werfen? Wie positioniert sich der Einzelne im Geflecht von „Staat Macht Moral“?

Es diskutieren
Jan BosseRegisseur „Hamlet“
Jürgen TrittinMdB, Die Grünen
Rainer ErlingerSüddeutsche Zeitung, Magazin
Heiner GeißlerBundesminister a.D.

Moderation Tina Mendelsohn