Eine Gruppe von Menschen sitzt abends an Biertischen auf einer Wiese neben einem Gebäude, andere stehen an einem Imbisswagen Schlange.

© Berliner Festspiele, Foto: Piero Chiussi

Theatertreffen-Blog

Aufstrebende Kulturjournalist*innen, Autor*innen und Theaterbegeisterte begleiten und reflektieren kritisch das Theatertreffen auf theatertreffen-blog.de sowie auf Instagram.

Perspektiven auf Theaterkritik

Kunst und Kritik: sie brauchen sich und sie beharken sich: Es schärft den Blick, den Standpunkt seines Gegenübers zu kennen

von Grete Götze

Verantwortlich für Konzeption und Redaktion Theatertreffen-Blog 2024

Das Verhältnis von Kunst und Kritik ist von jeher angespannt. Von Goethe kennt man aus dem 18. Jahrhundert das plakative Zitat: „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent!“ Virginia Woolf benennt Anfang des 20. Jahrhundert ihr Unbehagen an Kritik schon genauer, und wünscht sich eine andere: „Hätte hinter dem ziellosen Gewehrfeuer der Presse der Autor das Gefühl, es gebe doch noch eine andere Art von Kritik, die Meinung von Menschen, die lesen aus Liebe zum Lesen, langsam und nicht berufsmäßig, und die mit großer Sympathie und doch mit großer Strenge urteilen, könnte dies nicht die Qualität seiner Arbeit erhöhen?“

Die Liebe zur Kunst beanspruchen beide Seiten für sich, die Kunstschaffenden und ihre Kritiker*innen. Aber die Meinungen darüber, was das konkret für Kritik bedeutet, gehen weit auseinander. Es hat mit Liebe zu tun, aber auch mit Kränkungen, Kunst-Freiheit, Macht. Davon zeugen nicht zuletzt die Geschehnisse am Staatstheater Hannover vergangenes Jahr, wo der damalige Ballettchef Marco Goecke in einer Pause nach kurzer verbaler Auseinandersetzung der ihm verhassten Tanzkritikerin der FAZ den Kot seines Dackels ins Gesicht rieb, den er in einem Beutel dabei hatte. Der Choreograf hat einen Preis dafür gezahlt, seinen Gefühlen freien Lauf gelassen zu haben. Er wurde suspendiert, entlassen, bekam Hausverbot. Diese Geschichte ist Ausgangspunkt der diesjährigen Inszenierung „Die Hundekot-Attacke“ des Theaterhauses Jena.

Was kann man tun, um das feindlich-symbiotische Verhältnis von Theater und Kritik in ein neues Licht zu stellen? Ich finde: unterschiedliche Perspektiven auf Theaterkritik zeigen. Deswegen gibt es mehrere Gastbeiträge dazu in dieser Ausgabe: Claude de Demo, Schauspielerin am Berliner Ensemble, schreibt aus der Perspektive einer Schauspielerin über ihre Wahrnehmung von Theaterkritik. Jette Steckel, dieses Jahr zum Theatertreffen mit ihrer Inszenierung von „Die Vaterlosen“ eingeladen, schaut mit dem Blick einer Regisseurin darauf. Und wie erleben es Autor*Innen, wenn über ihr Stück geschrieben und geurteilt wird, möglicherweise nicht mal in seiner Ursprungsfassung? Davon erzählt uns Nis-Momme Stockmann, wenn er zum Redaktionsbesuch kommt.

Natürlich spielt für Theaterkritik auch eine Rolle, wie sich ihre Bedingungen verändert haben. Zeitungs-Auflagen sinken, Kultursendungen laufen seltener, werden finanziell schlechter ausgestattet und in die späten Abendstunden verlegt. Onlineseiten müssen sich irgendwie finanzieren, und natürlich spielt es eine Rolle, von wem das Geld kommt. Zusätzlich werden jedes Interesse, aber auch jeder Verlust an Interesse durch technische Möglichkeiten messbar. Einen Einblick in ihren Redaktionsalltag gewähren uns bei ihrem Besuch zwei Mitglieder des Online-Theaterfeuilletons nachtkritik.de und Simon Strauß, Theaterkritiker bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Zu guter Letzt: Natürlich spielt eine Rolle, wer Theater kritisiert. Daher wäre es noch schöner gewesen, Nachwuchsjournalisten und -Journalistinnen aus der ganzen Welt einladen zu können. Aus der Realität finanzieller Möglichkeiten ergibt sich eine aus Europa schauende Perspektive. Aber immerhin und schaut mal her. Unsere Kritiker*innen haben auch schon unterschiedliche Sichtweisen: mit Blick aus der Schweiz, aus Österreich, aus Ostdeutschland, aus dem angelsächsischen Raum, mit bosnisch-deutscher Perspektive. Wie cool wird das bitte, sie zweieinhalb Wochen über ihre Sicht auf die Theater-Welt berichten zu lassen? Verpflichtet dem Publikum, den Leser*innen und der Kunst. Aber mit geschärftem Blick dafür, was Theatermachern und Macherinnen wichtig ist, mit denen sie ja ihre Liebe zum Theater teilen. Und mit guten Argumenten für ihre ästhetischen Urteile.

Die Blogger*innen 2024

Fünf Blogger*innen sind eingeladen, das Theatertreffen mit verschiedenen journalistischen Formaten zu begleiten und kritisch zu reflektieren.

Kontakt

Konzept und Redaktion: Grete Götze, Tamara Marszalkowski
Assistenz: Luisa Böhm
Tel +49 30 254 89 193
theatertreffen-blog@berlinerfestspiele.de
theatertreffen-blog.de

Das Theatertreffen-Blog

Fünf  bis sieben Autor*innen und Theaterbegeisterte berichten kritisch vor Ort vom Theatertreffen. Dabei sollen Perspektiven geschärft und erweitert, das Konzipieren und Durchführen journalistischer Formate entwickelt und neue Zugänge zur Auseinandersetzung mit theatralen Formen erfunden werden. Bewerbungen für das Theatertreffen-Blog sind im Rahmen eines Open Calls möglich, der jeweils in den letzten Wochen des Jahres veröffentlicht wird.

Geschichte

Der Umzug der Festivalzeitung, die von 2005 bis 2008 in Zusammenarbeit mit der Berliner Zeitung entstand, in das Internet vergrößerte die Reichweite und die Transparenz der Festivalberichterstattung: Diskussionen über die zum Festival eingeladenen Produktionen konnten nun orts- und zeitunabhängig verfolgt werden und das Publikum hatte die Möglichkeit, sich über die Kommentarfunktion kritisch zu beteiligen. Die Ausweitung der Ausschreibung auf nicht nur deutsch-, sondern auch englischsprachige Teilnehmer*innen führte zu einer Internationalisierung der Debatten. Und schließlich führte die Voraussetzung, ein eigenes Blog zu haben, zu Teilnehmer*innen, die bereits aktiv im Netz sind.

 

Das Theatertreffen-Blog ist inzwischen als eigenständige digitale Marke fest in der Medienlandschaft etabliert. Es wurde als Originalquelle etwa bei Guardian Online, nachtkritik.de oder bei dem feministischen Blog maedchenmannschaft.net verlinkt. Zu den Medienpartnern des Theatertreffen-Blogs zählten bisher die Berliner Zeitung, EXBERLINER, 3sat/Kulturzeit, kultiversum.de, Theater der Zeit, ZEIT ONLINE und die Bloggerinnen Mary Sherpe von stilinberlin.de und Johanna von Stülpnagel von redenswinger.de/blog. Die Partner*innen unterstützten die Arbeit der Blog-Redaktion personell durch die Freistellung von Redakteur*innen als Mentor*innen, medial durch die Verlinkung, inhaltlich durch eigene Beiträge.

Gefördert wurde das Theatertreffen-Blog 2011 bis 2015 von der Rudolf Augstein Stiftung. Seit 2016 wird das Theatertreffen-Blog von der Stiftung Presse-Haus NRZ gefördert.

Gegründet wurde das Theatertreffen-Blog 2009 von Nikola Richter, die es bis 2013 leitete. In den Jahren 2014 und 2015 übernahm Bianca Praetorius die Projektleitung. Von 2016 bis 2021 leitete Janis El-Bira das Theatertreffen-Blog. 2022 übernahmen Antigone Akgün und Ozi Ozar die Konzeption und Redaktion des Projekts. Im Jahr 2023 fand das Theatertreffen-Blog unter der Leitung von Antigone Akgün in enger Zusammenarbeit mit Zofia nierodzińska statt. 2024 übernimmt Grete Götze gemeinsam mit Tamara Marszalkowski die Verantwortung für Konzept und Redaktion.

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