Szenische Lesung | Stückemarkt

Contra el progrés – Gegen den Fortschritt

von Esteve Soler (Barcelona, Spanien)
Aus dem Katalanischen von Charlotte Frei

Esteve Soler

Esteve Soler © Joan Domènech

Der Titel des Stückes klingt wie ein programmatischer Aufruf, das Stück selbst aber verweigert Zusammenhänge und Schlussfolgerungen. In den sieben ziemlich seltsamen szenischen Miniaturen bricht jeweils ein Störfaktor monströsen Ausmaßes in eine vermeintliche Alltagssituation ein. Oft hat dieser Störfaktor etwas mit dem Tod oder dem großen Unbekannten zu tun und stellt die Figuren vor die Frage, wer oder was sie als Mensch sein möchten, wie viel Anmaßung in der Entscheidung über Schicksal, über Leben und Tod sie an sich reißen wollen. Tendenziell kann man sagen: Sie wollen eher viel bis zu viel Macht an sich reißen und sind dabei, sich selber abzuschaffen – wen wundert’s? Szene für Szene wird in diesem Panoptikum skurriler Momentaufnahmen die Realität ein Stückchen weitergedreht und der Begriff „Fortschritt“ subtil ironisiert. Wem gehört, wem nützt der Fortschritt, den wir haben, eigentlich? Gibt es ihn überhaupt? Gibt es ein zivilisatorisches Ziel? Wird alles besser – oder besser nicht? Wer drückt den roten Knopf, oder brauchen wir ihn längst nicht mehr? „Gegen den Fortschritt“ unternimmt in sehr lakonischem Ton eine aufgeklärt-boshafte Prognose der allernächsten Gegenwart.

In der Schluss-Sequenz nehmen die Robben – im Dienste des ökologischen Gleichgewichts – Rache an der Spezies Mensch. Um die Überpopulation an menschlichen Schädlingen zu dezimieren, muss irgendeine arme Robbe die Drecksarbeit machen und Menschen-Babys totschlagen. Das ist nicht schön, aber eine bessere Alternative, als sich von Menschen tyrannisieren zu lassen, die glauben, dass sie letztendlich keine Menschen mehr wären.
Viola Hasselberg

Esteve Soler wurde 1976 in L’Hospitalet de Llobregat in der spanischen Region Katalonien geboren. Er studierte Regie und Dramaturgie am Institut del Teatre in Barcelona. Zurzeit bereitet er an der Fakultät Darstellende Künste der Universitat Autònoma de Barcelona seine Promotion über die Dramaturgie der Komödie vor. Bisher wurden folgende Stücke von ihm aufgeführt: „Jo sóc un altre!“ am Teatre Nacional de Catalunya und „Davant de l’home“ im Rahmen der offenen Proben des Teatre Lliure zu Texten von Thomas Bernhard. Esteve Soler ist außerdem Filmkritiker für die Tageszeitung Regió 7 und den Radiosender COMRàdio sowie Redaktionsmitglied der Theaterzeitschrift Pausa. Er lebt in Barcelona und gehört zum Autorenkreis der Sala Beckett.

Besetzung

Szenische Einrichtung Lars-Ole Walburg
Dramaturgie Aljoscha Begrich
Es lesen Margit Bendokat, Sandra Hüller, Alexander Khuon, Wolfram Koch und Michael Schweighöfer