Inszenierung / 3sat-Aufzeichnung | 10er Auswahl
von Anna Gmeyner
Burgtheater (Wien)
Premiere 30. Oktober 2020
Videotrailer © Burgtheater
Barbara Frey und dem Ensemble des Burgtheaters gelingt ein wunderbar tragikomischer Theaterabend, der die selten gespielte Autorin Anna Gmeyner wieder ins Licht der Aufmerksamkeit rückt.
Der Provinzbürger Adam bewahrt die schöne Unbekannte Eva vor dem Freitod durch Ertrinken und bringt sie mit in das „Automatenbüfett“, die Gastwirtschaft seiner resoluten Ehefrau. Evas Ankunft ist für die männerlastige Gemeinschaft eine Attraktion, die der durchtriebene Adam für seine Pläne zu nutzen weiß. Anna Gmeyners Figuren kämpfen verzweifelt um Verbindlichkeit und offenbaren sukzessive doch nur wieder die eigene Schlechtigkeit. Der von Martin Zehetgruber entworfene titelgebende Automat bildet den drohenden Hintergrund, vor dem sich das herausragende Ensemble auf mal peinlichst-komische, mal herzzerreißend traurige Weise begegnet. Regisseurin Barbara Frey beweist einmal mehr ihr Talent für unaufgeregte, präzise Spannung – und einen klugen, zeitgemäßen Blick auf Geschlechterabhängigkeiten.
Theatertreffen-Jurorin Petra Paterno zur Inszenierung
„Automatenbüfett“ ist eine Wiederentdeckung. Die Autorin Anna Gmeyner, geboren 1902 in Wien, war zeitlebens eine literarische Außenseiterin. „Automatenbüfett“ hätte bereits in den 1930er-Jahren das Zeug dazu gehabt, Gmeyner den Durchbruch als Dramatikerin zu ermöglichen; als linke Bühnendichterin jüdischer Herkunft waren ihre Texte in Nazi-Deutschland verboten; Gmeyner gelang die Flucht ins britische Exil, nach Österreich kehrte sie nie mehr zurück.
Gern wird die Autorin mit Ödön von Horváth verglichen, häufig allerdings zu ihren Ungunsten. Dabei sind gerade Gmeyners Frauenfiguren – im Unterschied zu Horváths verlorenen Fräuleins – zähe Kämpferinnennaturen, die sich nehmen, was man ihnen nicht freiwillig geben will. „Automatenbüfett“ beginnt damit, dass eine junge Frau namens Eva (Katharina Lorenz) von einem gewissen Herrn Adam (Michael Maertens) bei ihrem Selbstmordversuch gerettet wird. Eva sieht sich fortan verpflichtet, Adam bei seinem wunderlichen Herzensprojekt – dem Aufbau einer Karpfenzucht – zu unterstützen. Nicht gerade der Auftakt für ein emanzipatorisches Stück im gegenwärtigen Sinne; das Adam-Eva-Verhältnis wird im Laufe der Handlung allerdings kippen.
Der Regisseurin Barbara Frey ist im Wiener Akademietheater eine so unaufgeregte wie leichthändige „Automatenbüfett“-Inszenierung geglückt, ohne die genretypischen Opferrollen des kleinbürgerlichen Panoptikums zu bedienen. Das Bühnenbild sticht heraus: Martin Zehetgruber hat buchstäblich einen überdimensionierten Automaten ins Theater gewuchtet, der nach Münzeinwurf rund um die Uhr Würstel und Bier ausspuckt; der Bühnenmusiker Tommy Hojsa spielt ebenfalls nur gegen Bares.
Frey hat ihr Ensemble auf ein artifizielles Bewegungsrepertoire eingeschworen; alles passiert absichtsvoll langsam, nicht die große Geste, sondern der Blick fürs Detail zählt. Die Regisseurin widersetzt sich simplem Naturalismus; die Verhältnisse werden auf der Bühne in ihrer ganzen Unbarmherzigkeit beschrieben und überzeugend durch eine geschlossene und hervorragende Ensembleleistung herbeigezaubert. „Automatenbüfett“ ist subtil und grobgewirkt, tieftraurig und zum Brüllen komisch. Eine ganze Welt auf einer Bühne.
Barbara Frey – Regie
Martin Zehetgruber – Bühne
Stephanie Wagner – Mitarbeit Bühne
Esther Geremus – Kostüme
Tommy Hojsa, Barbara Frey – Musik
Friedrich Rom – Licht
Andreas Karlaganis – Dramaturgie
Mit
Michael Maertens – Adam
Maria Happel – Frau Adam
Katharina Lorenz – Eva
Christoph Luser – Pankraz / Willibald Boxer
Dörte Lyssewski – Puttgam
Annamária Láng – Cäcilie / Redakteur Arendt
Robert Reinagl – Schulrat Wittibtöter
Hans Dieter Knebel – Apotheker Hüslein
Daniel Jesch – Oberförster Wutlitz
Daniel Jesch / Hans Dieter Knebel / Annamária Láng / Robert Reinagl – Die Frauen der Mitglieder des A.F.V.
Tommy Hojsa – Piano