Ein Mann steht mit verschränkten Armen neben einer sitzenden Frau im pinken Kostüm, dahinter Menschen mit Instrumenten.

Unser Deutschlandmärchen

© Ute Langkafel MAIFOTO

Zuschauen. Nachdenken. Mitreden.

Berliner Schüler*innen besuchen das Theatertreffen 2025

Wie klingt es, wenn Sehnsucht laut wird? Wann berührt Theater nicht nur den Verstand, sondern den ganzen Körper? Was bedeutet es, zwischen zwei Kulturen zu stehen – als Tochter, als Sohn, als Mensch?

Siebzehn Schüler*innen des Rheingau Gymnasiums und der LiteraturInitiative Berlin (LIN) haben beim Theatertreffen 2025 die Inszenierung „Unser Deutschlandmärchen“ vom Berliner Maxim Gorki Theater erlebt und geantwortet: in Texten, Bildern und Videos, die mal leise staunen, mal laut diskutieren, aber immer ganz nah an ihren eigenen Emotionen bleiben.

Zwei kurze Workshops, einer vor dem Theaterbesuch und einer danach, reichten aus, um erste Skepsis in viel kreative Energie zu verwandeln.

Wer steckt dahinter?

Die Kooperation zwischen dem Theatertreffen und der LiteraturInitiative Berlin – unter der Leitung von Birgit Murke – besteht seit 2018. Seit 2021 wird diese durch ein Workshop-Programm zur Aufführungsanalyse für die Schüler*innen der Kooperationsschulen der LIN in Berlin ergänzt. Der Theaterwissenschaftler Torsten Jost vom Exzellenzcluster Temporal Communities der Freien Universität Berlin begleitet die Schüler*innen dabei, den eigenen Blick im Theater zu erkunden und neue Perspektiven kennenzulernen.

2025 wurde den Schüler*innen vom Theatertreffen erstmals ein kostenloser Vorstellungsbesuch ermöglicht. Die Gruppe wurde zur Inszenierung „Unser Deutschlandmärchen“ im Maxim Gorki Theater Berlin eingeladen und traf im Rahmen ihres Besuchs den Regisseur Hakan Savaş Mican und den Dramaturgen Holger Kuhla, moderiert von der Theaterpädagogin Janka Panskus.

Gemeinsam gaben sie den Jugendlichen viel Raum zum Fragenstellen, Diskutieren und Gestalten – und begleiteten sie von der ersten Idee bis zum finalen Upload.

Scroll weiter, lies, schau, hör zu – und finde heraus, wie ein junges Publikum Theater heute sieht. Viel Freude beim Entdecken!

1

Karolina

Eine emotionale Achterbahnfahrt

Am 12. Mai 2025 haben wir uns im Rahmen des Theatertreffens die Inszenierung „Unser Deutschlandmärchen“ nach dem Roman von Dinçer Güçyeter im Maxim Gorki Theater Berlin angeschaut. Die Mutter-Sohn-Geschichte über das Aufwachsen als Kind von Gastarbeiter*innen im Ruhrgebiet wurde von Regisseur Hakan Savaş Mican eindrucksvoll auf die Bühne gebracht.

Taner Şahintürk und Sesede Terziyan haben mit ihrer schauspielerischen Leistung vollkommen überzeugt. Auch die gesungenen Lieder waren stark ausgewählt und sehr berührend umgesetzt. Durch das mitreißende Musical blieb meine Aufmerksamkeit über die gesamte Inszenierung hinweg erhalten – ich konnte mich voll auf diese emotionale Achterbahnfahrt einlassen. Besonders die türkischen und englischen Lieder haben die Handlung wirkungsvoll unterstrichen und den Schmerz der Figuren noch spürbarer gemacht.

Die Mischung aus Leichtigkeit und Ernst, Schauspiel und Gesang sowie die direkte Ansprache des Publikums haben mir besonders gefallen. Eine Inszenierung, die mich sehr überzeugt hat – und die ich mir jederzeit noch einmal ansehen würde.

Eine lächelnde Frau im schwarzen Abendkleid hält ein Mikrofon in der Hand

Fatma erzählt ihre Familiengeschichte

© Ute Langkafel MAIFOTO

2

Luise&Mieke

So viel auf einmal!

Kunstformen in „Unser Deutschlandmärchen“

Bei der Inszenierung „Unser Deutschlandmärchen“ nach dem Roman von Dinçer Güçyeter ist eines klar: Langweilig wird es hier niemandem! Viele verschiedene Kunstformen wie Musik, Bühnenbild, Tanz und Bewegung, Schauspiel und Dichtung kommen zum Einsatz. Sie sorgen für viel Abwechslung und machen den Abend lebendig und sehr besonders.

Vor allem durch den Gesang von Taner Şahintürk und Sesede Terziyan werden Emotionen unmittelbar erfahrbar: Trauer, Liebe, Freude, Verzweiflung, Wut, Angst, Mut, Hoffnung und Vergebung. So entsteht ein direkter Zugang zur inneren Welt der Figuren und zu ihren Konflikten und Erfahrungen.

Das Bühnenbild arbeitet mit kraftvollen, überraschenden Momenten: Zu Beginn rieselt Sand langsam von der Decke, später poltern hunderte Suppenkellen auf den Bühnenboden. Bilder der Charaktere werden projiziert, und nach und nach besetzen die Gedichte des Hauptcharakters den Raum – sie hinterlassen Spuren auf der Bühne.

Zwei Personen stehen im Freien an einem sonnigen Tag. Die linke Person trägt ein langärmeliges, lilafarbenes Oberteil, die rechte ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „EA7 Emporio Armani“. Im Hintergrund sind grüne Bäume, ein mehrstöckiges Gebäude und eine geschwungene Fassade mit Treppen zu sehen.

In unserem Video – selbst aufgenommen auf unserem Schulhof in Berlin-Steglitz – erklären wir, was uns besonders gefallen und beeindruckt hat.

3

Raphaël&Subinn

Die Aufmerksamkeit reißt nie ab

„Unser Deutschlandmärchen“ ist eine Inszenierung voller überraschender Wendungen. Es wird gelacht, wenn plötzlich die vierte Wand fällt und das Publikum direkt angesprochen wird. Dann wieder folgen Szenen voller Traurigkeit, die tief berühren.

Schöne, bedeutsame Bilder wechseln sich mit verstörenden Momenten ab. Sie fordern heraus, machen nachdenklich und werfen Fragen auf. Gerade wenn man denkt, man habe die Inszenierung verstanden, passiert etwas völlig Unerwartetes.

Genau das macht den Abend so besonders: Die Aufmerksamkeit reißt nie ab. 
Ständig gibt es etwas Neues zu beobachten, weil sich das Bühnenbild unaufhörlich verändert. Man konnte spüren und sehen, wie die Schauspieler*innen vertraute Themen wie Liebe, Verlustangst, Sorge, Wut und Vergebung eindrucksvoll verkörperten – kraftvoll, sensibel und in außergewöhnlicher Harmonie miteinander.

In der folgenden Bilderserie zeigen wir, wie auch wir als Zuschauer körperlich auf das Bühnengeschehen reagiert haben – manchmal nachdenklich, manchmal überrascht, oft ganz unmittelbar. Unsere Körper wurden dabei selbst Teil der Aufführung.

Unsere Reaktionen auf das Bühnengeschehen

4

Eliza,Agnes&Viktoria

Eine Mutter singt sich ins Herz

Der Regisseur Hakan Savaş Mican hat die Romanvorlage von Dinçer Güçyeter in eine vielschichtige Inszenierung verwandelt. Die Verwandlung vom poetischen Buch in ein emotionales Theatererlebnis gelingt ihm eindrucksvoll. Die Gefühle der Figuren werden durch verschiedene Kunstformen wie Musik, Dichtung, Schauspiel und Bewegung intensiv erfahrbar – und dadurch nachvollziehbar.

Die sonst kalt und stark wirkende Mutter lernt man durch die türkischen Lieder, wie etwa „Sevda Olmasaydı“, von einer ganz neuen Seite kennen: verletzlich und gefühlvoll. Auch die Erzählung ihrer Familien- und Migrationsgeschichte ist besonders mitreißend.

Eine Frau in Arbeitskleidung auf Stöckelschuhen performt im Scheinwerferlicht.

Fatma probiert die pinken Pumps an, die ihr ihr Sohn von seinem ersten Gehalt gekauft hat
© Ute Langkafel MAIFOTO

Die Entwicklung von Dinçer, ihrem Sohn, wird unter anderem über unterschiedliche Musikstile erzählt. Stichwort: Herbert Grönemeyer! In einer Szene schreibt er mit Kreide seine ersten Gedichte auf den Bühnenboden, in einer anderen schlägt er mit einem Hammer auf einen Amboss. Wut, Sehnsucht, die Liebe zur Mutter und der Drang nach Freiheit und Ausdruck – all das zeigt sich in manchmal auch skurrilen Bildern und Momenten und zieht die Zuschauer*innen tief hinein in eine berührende, persönliche Geschichte.

In einem nebligen Raum steht eine Person mit langem Kleid vor einem Rollwagen mit pinken Stöckelschuhen.

Dinçer am Sarg seiner Mutter
© Ute Langkafel MAIFOTO

5

Miren&Ida

Nachhaltig beeindruckt

Wir hatten keine großen Erwartungen an die Inszenierung – doch wir wurden sehr positiv überrascht. Besonders zwei Szenen haben uns nachhaltig beeindruckt.

Die erste war der Moment, in dem Fatma im Bus die Frauen nach ihren Ehemännern und ihrem Wohlbefinden fragte. Diese Szene hat uns berührt, weil sie das Leben dieser Frauen auf eine direkte und ehrliche Weise widerspiegelt. Da wir selbst im Alltag immer wieder von schockierenden Erfahrungen von Frauen hören oder sie miterleben, war diese Szene für uns emotional und bedeutungsvoll. Außerdem zeigt sich hier auch die tiefe Liebe, die Dinçer für seine Mutter empfindet – ein Gefühl, das sich durch die ganze Inszenierung zieht.

Eine Frau mit Kopftuch und Arbeitskittel steht inmitten einer Gruppe von Musiker*innen und spricht Richtung Publikum.

Dinçer und seine Mutter Fatma (mit rotem Kopftuch) im Bus auf dem Weg zur Arbeit
© Ute Langkafel MAIFOTO

Die zweite Szene folgt direkt zu Beginn der Inszenierung. Fatma steht verzweifelt auf der Bühne – sie wünscht sich ein Kind, kann aber keines bekommen. In ihrer Not richtet sie sich an Maria, obwohl sie nicht dem christlichen Glauben angehört. Wir vermuten, dass sie Maria anspricht, weil sie eine Frau ist – jemand, von dem sie Verständnis, Trost und Hilfe erwartet. Fatma hat mehrere Operationen hinter sich, doch nichts hat geholfen. Maria ist ihre letzte Hoffnung. Diese Szene ist dramatisch, aber auch sehr berührend und schön – sie hat uns noch lange beschäftigt.

Eine Frau kniet auf einem Teppich und wendet ihren Blick nach oben

Fatma, wie sie zu Maria betet
© Ute Langkafel MAIFOTO

6

Valentin,Leo&Ian

Eindeutig mehrdeutig

In der Inszenierung „Unser Deutschlandmärchen“ wird Verwirrung gezielt eingesetzt, um die Identitätskrisen der Figuren sichtbar zu machen. Dinçer und seine Mutter Fatma bewegen sich im Spannungsfeld zwischen zwei Kulturen und suchen ihren Platz in der Gesellschaft.

Die Collage aus Rückblenden und surrealen Elementen spiegelt ihre innere Zerrissenheit wider. Besonders die roten Schuhe und das wiederholte Auftauchen der Figur „Heidi“, von der Mutter mehrfach erwähnt, sorgen zunächst für Irritation – verstärkt durch das Zusammenspiel von Schauspiel und Projektionen auf der Bühne.

Erst in späteren Szenen wird deutlich, welche Bedeutung diese Symbole haben. Dadurch erschließt sich ihre emotionale Tiefe, ohne dass die Inszenierung unverständlich wirkt. Gerade dieses Spiel mit Mehrdeutigkeit macht den Abend so vielschichtig und so besonders eindrücklich.

Unser Mitschüler Leo Brabandt hat als Reaktion auf die Inszenierung eine eigene Installation in seiner Küche gestaltet und fotografisch festgehalten. Zu sehen ist fallendes Besteck – ein Bild, das uns an den Moment erinnert, in dem in der Inszenierung plötzlich Objekte vom Bühnenhimmel krachen. Was erst verwirrend wirkt, entfaltet später starke Symbolkraft. Leos Bild zeigt, wie dieser Effekt funktioniert: erst Chaos, dann Bedeutung.

Fallendes Besteck

Fallendes Chaos

© Leo Brabandt

7

Nuri,Emmi&Anes

Unerwartet mitreißend

Unsere ursprüngliche Erwartungshaltung: Ehrlich gesagt dachten wir zuerst, es würde langweilig werden: ein Monolog mit langweiliger Hintergrundmusik und eine Geschichte, die uns nicht wirklich interessiert. Wir gingen davon aus, dass alles „wie immer“ abläuft.

Wie es dann aber wirklich war: Die Inszenierung war überraschend und originell. Musik, Struktur und Erzählweise – alles war ungewöhnlich und hat sofort unsere Aufmerksamkeit geweckt. Und sie auch über die ganze Stückdauer gehalten, was bei uns wirklich nicht leicht ist. Es war alles dabei: Spannung, Emotionen, Liebe, Humor. Es hat uns wirklich sehr gefallen und es war uns eine Ehre, zu so einem Erlebnis eingeladen und Teil dessen geworden zu sein.

Applaudierende LEGO-Figuren

Standing Ovation

© KI-generiert mit Piclumen