Inszenierung | 10 bemerkenswerte Inszenierungen

Die Eingeborenen von Maria Blut

von Maria Lazar
Bühnenfassung von Lucia Bihler und Alexander Kerlin

Burgtheater, Wien

Uraufführung 20. Januar 2023

Vier Personen in lachsrosa Kostümen und mit einer Maske über dem Kopf stehen vor einer riesigen, von zwei Engeln flankierten Marienstatue.

Trailer © Burgtheater (Wien)

Die von Angst, Aberglaube und Verleumdung geprägten Geschehnisse in einer Dorfgemeinschaft bringen Lucia Bihler und ihr Team in einer bestechenden Bildsprache auf die Bühne, die bereits die Schrecken eines bevorstehenden politischen Wandels zeigt.

3sat „Starke Stücke“: Die Inszenierung in voller Länge online sehen
in der 3sat-Mediathek und in der BerlinerFestspiele Mediathek vom Freitag, 12.5. bis Donnerstag, 7.9.

Publikumsgespräch
Dienstag, 23.5. im Anschluss an die Vorstellung und bis 31. Dezember 2023 als Videoon Demand in der Mediathek
Moderation: Jutta Wangemann, teilnehmendes Jurymitglied: Petra Paterno

Ein österreichisches Dorf in den 1930er-Jahren: Arbeitslosigkeit, Aberglaube und die Angst vor dem sozialen Abstieg bestimmen das Leben der von Wirtschaftskrise und Inflation gezeichneten Bewohner*innen. Die örtliche Konservenfabrik hat schließen müssen. Rettung verspricht ein Herr Schellbach, der eine ominöse „Raumkraft“ produzieren möchte: Viele kaufen Aktien, um das Unternehmen zu fördern. Doch Schellbach erschießt sich und die Schuldigen an der schlechten Lage müssen gefunden werden. Eine Welle des Tratsches und der Gewalt hebt an, die bald erste Tote fordert.
In ihrem lange vergessenen Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“ beschreibt Maria Lazar 1937 hellsichtig und mit bissigem Humor das Heranreifen des Nationalsozialismus in der österreichischen Provinz. Lucia Bihler und Alexander Kerlin stellen aus der Unzahl an Kurzszenen und Figuren des Buches drei Familien ins Zentrum, die exemplarisch für die Polarisierung dieser Zeit stehen. In Bihlers bildstarker Inszenierung, die auf einem ausgefeilten Sound- und Lichtkonzept basiert, zeigt das Ensemble des Burgtheaters mit einer puppenhaft formalisierten Spielweise und rasanten Figurenwechseln bestechend die persönliche Dimension politischer Veränderung.

Statement der Jury
Maria Lazars Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“, 1937 im dänischen Exil verfasst, ergründet luzid die Anfälligkeit der katholischen Provinz für den aufkeimenden Faschismus: Armut und Abstiegsängste befördern antisemitische Tendenzen und Erlöserfantasien. Der Dramaturg Alexander Kerlin und die Regisseurin Lucia Bihler legen eine pointierte Fassung des figurenreichen Romans vor, die wie angegossen zu Bihlers stilisierten Bilderwelten passt.
Der zweistündige Abend fächert sich in Miniaturdramen auf, getrennt durch kantige Blackouts. Das Ensemble hält, unterstützt vom Sounddesigner Jacob Suske, die Spannung; nie wird es gemütlich. Es entfaltet sich ein herausfordernder Theaterabend, die starke szenische Setzung unterläuft absichtsvoll jede stringente Narration. Die chorischen Passagen, das Spiel mit und ohne Masken werfen grelle Schlaglichter auf die unheilvolle Verquickung von Religiosität und Dorfleben. „Die Eingeborenen von Maria Blut“ nähert sich radikaler Literatur auf radikale Weise.

ZumVideostatement von Jurorin Petra Paterno in der Berliner Festspiele Mediathek

Programmheft (PDF, 5 MB)

Künstlerisches Team

Lucia BihlerRegie
Jessica RockstrohBühne
Victoria BehrKostüme
Jacob SuskeMusik und Sounddesign
Mats SüthoffChoreografie und Maskenspiel
Peter Spörl, Helmut LacknerMaskenbau
Norbert PillerLicht
Alexander KerlinDramaturgie

Mit

Stefanie DvorakStimme der Erzählerin / Toni, Adalberts Haushälterin / Anselm, Meyer-Löws Enkelsohn / Fräulein Reindl
Philipp HaussDoktor Lohmann
Jonas HackmannAdalbert, Doktor Lohmanns Sohn / Vinzenz, Herr Hebergers Sohn
Robert ReinaglPater Lambert / Herr Heberger, Wirt
Dorothee HartingerMeyer-Löw, Rechtsanwalt
Lili WinderlichMarischka, Haushälterin bei Meyer-Löw / Notburga, Herr Hebergers Tochter / Alice, Freundin von Lohmann in Wien
EnsembleDie Eingeborenen von Maria Blut