Inszenierung | 10 bemerkenswerte Inszenierungen
von Maria Lazar
Bühnenfassung von Lucia Bihler und Alexander Kerlin
Burgtheater, Wien
Uraufführung 20. Januar 2023
Trailer © Burgtheater (Wien)
Die von Angst, Aberglaube und Verleumdung geprägten Geschehnisse in einer Dorfgemeinschaft bringen Lucia Bihler und ihr Team in einer bestechenden Bildsprache auf die Bühne, die bereits die Schrecken eines bevorstehenden politischen Wandels zeigt.
Ein österreichisches Dorf in den 1930er-Jahren: Arbeitslosigkeit, Aberglaube und die Angst vor dem sozialen Abstieg bestimmen das Leben der von Wirtschaftskrise und Inflation gezeichneten Bewohner*innen. Die örtliche Konservenfabrik hat schließen müssen. Rettung verspricht ein Herr Schellbach, der eine ominöse „Raumkraft“ produzieren möchte: Viele kaufen Aktien, um das Unternehmen zu fördern. Doch Schellbach erschießt sich und die Schuldigen an der schlechten Lage müssen gefunden werden. Eine Welle des Tratsches und der Gewalt hebt an, die bald erste Tote fordert.
In ihrem lange vergessenen Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“ beschreibt Maria Lazar 1937 hellsichtig und mit bissigem Humor das Heranreifen des Nationalsozialismus in der österreichischen Provinz. Lucia Bihler und Alexander Kerlin stellen aus der Unzahl an Kurzszenen und Figuren des Buches drei Familien ins Zentrum, die exemplarisch für die Polarisierung dieser Zeit stehen. In Bihlers bildstarker Inszenierung, die auf einem ausgefeilten Sound- und Lichtkonzept basiert, zeigt das Ensemble des Burgtheaters mit einer puppenhaft formalisierten Spielweise und rasanten Figurenwechseln bestechend die persönliche Dimension politischer Veränderung.
Statement der Jury
Maria Lazars Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“, 1937 im dänischen Exil verfasst, ergründet luzid die Anfälligkeit der katholischen Provinz für den aufkeimenden Faschismus: Armut und Abstiegsängste befördern antisemitische Tendenzen und Erlöserfantasien. Der Dramaturg Alexander Kerlin und die Regisseurin Lucia Bihler legen eine pointierte Fassung des figurenreichen Romans vor, die wie angegossen zu Bihlers stilisierten Bilderwelten passt.
Der zweistündige Abend fächert sich in Miniaturdramen auf, getrennt durch kantige Blackouts. Das Ensemble hält, unterstützt vom Sounddesigner Jacob Suske, die Spannung; nie wird es gemütlich. Es entfaltet sich ein herausfordernder Theaterabend, die starke szenische Setzung unterläuft absichtsvoll jede stringente Narration. Die chorischen Passagen, das Spiel mit und ohne Masken werfen grelle Schlaglichter auf die unheilvolle Verquickung von Religiosität und Dorfleben. „Die Eingeborenen von Maria Blut“ nähert sich radikaler Literatur auf radikale Weise.
ZumVideostatement von Jurorin Petra Paterno in der Berliner Festspiele Mediathek
Programmheft (PDF, 5 MB)
Lucia Bihler – Regie
Jessica Rockstroh – Bühne
Victoria Behr – Kostüme
Jacob Suske – Musik und Sounddesign
Mats Süthoff – Choreografie und Maskenspiel
Peter Spörl, Helmut Lackner – Maskenbau
Norbert Piller – Licht
Alexander Kerlin – Dramaturgie
Mit
Stefanie Dvorak – Stimme der Erzählerin / Toni, Adalberts Haushälterin / Anselm, Meyer-Löws Enkelsohn / Fräulein Reindl
Philipp Hauss – Doktor Lohmann
Jonas Hackmann – Adalbert, Doktor Lohmanns Sohn / Vinzenz, Herr Hebergers Sohn
Robert Reinagl – Pater Lambert / Herr Heberger, Wirt
Dorothee Hartinger – Meyer-Löw, Rechtsanwalt
Lili Winderlich – Marischka, Haushälterin bei Meyer-Löw / Notburga, Herr Hebergers Tochter / Alice, Freundin von Lohmann in Wien
Ensemble – Die Eingeborenen von Maria Blut